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Teil der Lösung oder Teil des Problems?

Maren Diehl • 23. November 2024
Ein ziemlich funktionaler Huf

Vielen Dank an alle Autorinnen für die wunderbaren Blogposts der letzten Wochen! Alle gemeinsam zeichnet ihr ein Bild von den vielfältigen Möglichkeiten. Wie es aussieht, muss ich selbst aber auch mal wieder ran.

Mir hat die Arbeit mit meinen KursteilnehmerInnen in diesem Jahr viel Spaß gemacht, weil es so viele schöne Entwicklungen bei Mensch und Pferd gab. Es waren viele Menschen und Pferde zur rechten Zeit am rechten Ort und ich glaube, es ist mir gelungen, ein funktionierendes Bild davon zu vermitteln, wie Pferde sich effizient und mit Begeisterung bewegen können. Ein wichtiger Teil dieser Arbeit liegt im Entflechten und Entrümpeln des Wissens und Erfahrungswustes. Erfahrungen sind wichtig und dürfen bleiben. Als Wissen getarnte Dogmen und Glaubenssätze können weg.

Zum Glück wird es immer leichter, die ollen Glaubenssätze auszuhebeln, weil diese immer offensichtlicher werden. Ihr wollt Beispiele? 

  1. Man muss ein Pferd auf dem Platz gymnastizieren, wenn es tragen lernen soll.
  2. Gebisse, Ziehen, harter Boden und Tempo schaden dem Pferd.
  3. Die Hufpflege nach Strasser ist Tierquälerei.
  4. Man kann ein Pferd nicht im Gelände ausbilden.
  5. Man muss perfekt reiten können, um dem Pferd nicht zu schaden.

Es ist für viele ReiterInnen schwer zu glauben, aber diese ganzen Behauptungen ergeben, wenn überhaupt, nur in einem bestimmten Framing einen Sinn. Deshalb führe ich das jetzt etwas genauer aus:

1.   “Man muss ein Pferd auf dem Platz gymnastizieren, wenn es tragen lernen soll.”
Nö. Tragen lernt ein Pferd vom Tragen. Also brauchen wir ein Setting, in dem es dem Pferd Freude macht, das zu üben und eine Methode, die ihm das leicht macht. Wir brauchen eine Vorgehensweise, die sich an die Möglichkeiten der Pferd-Reiter-Dyade anpasst. 


 2.   “Gebisse, Ziehen, harter Boden und Tempo schaden dem Pferd.”
Gebisse schaden, wenn das Pferd ihnen nachgeben und hinter dem Gebiss laufen soll, wenn es sich formen lassen soll, wenn Anlehnung Form voraussetzt. Dabei ist der Grad der Krafteinwirkung nebensächlich. Ziehen schadet, wenn der Reiter das Pferd in eine Form, in eine Richtung oder in eine niedrigere Geschwindigkeit zieht. Gebisse sind sehr hilfreich, wenn das Pferd zieht. Hübsch horizontal und immer.
Harter Boden schadet, wenn das Pferd sich dysfunktional bewegt - das Gleiche gilt für höhere Tempi. Ein gesundes, vernünftig ausgebildetes Pferd kann viele Tempi auf fast allen bereitbaren Untergründen gehen - mit Reiterin!


 3.   “Die Hufpflege nach Strasser ist Tierquälerei.”
Es gibt sehr unterschiedliche Ansätze in der Hufbearbeitung. Die Aufgabe der Hufbeschlagsschmiede ist es, einen möglichst hohen Prozentsatz der Pferde in ihrem jeweiligen Job gängig zu machen und zu halten. Dafür werden sie bezahlt. Das bedeutet, dass sehr häufig die Pathologien die Art der Bearbeitung bestimmen. Viele Theorien zur Barhufbearbeitung gehen in die gleiche Richtung, wobei einige davon ausgehen, dass die Pferde sich die Hufe selbst passend laufen. Letzteres funktioniert allerdings nur bei einer Kilometerleistung ab 10km pro Tag, bei harthufigen Pferderassen vor allem auf harten Böden, wie Dr. Hiltrud Strasser in ihrem Werk beschreibt. Sie gehört meines Erachtens zu den wenigen Menschen, die das Wesen eines gesunden Hufes an einem gesunden Pferd erfasst haben und stellt die Heilung des Hufes an die erste Stelle - deutlich vor die sofortige Nutzbarkeit des Pferdes für den Menschen. Ihre Prinzipien sind kompatibel mit den aus dem Erklärungsmodell Biotensegrität abgeleiteten Prinzipien für die Entwicklung des biotensegralen Potenzials der Pferde sowie mit dem Konzept der Gebrauchshaltung. Dr. Hiltrud Strassers Arbeit lässt den Huf von einem Teil des Problems zu einem Teil der Lösung werden.


 4.   “Man kann ein Pferd nicht im Gelände ausbilden.”
Doch. Nur anders. Der Fokus liegt auf dem gemeinsamen Tun auf der Basis von gegenseitigem Vertrauen und Benimm anstatt auf Stellung, Biegung, Hilfengehorsam. Das Pferd erfährt konstruktive Selbstwirksamkeit.


 5.   “Man muss perfekt reiten können, um dem Pferd nicht zu schaden.”
Nö. Mit der Entscheidung des Menschen, Teil der Pferd-Reiter-Dyade zu sein und mit ein paar Prinzipien im Gepäck entwickeln sich die meisten Pferde sehr zügig in Richtung belastbares Gebrauchspferd. Man müsste nur perfekt “reiten können”, wenn man dem Pferd seine Bewegungen vorschreiben wollte. Um sich gemeinsam mit dem Pferd auf den Weg  zu machen, braucht es keine Perfektion.

Versteht mich nicht falsch. Man kann ein Pferd ein Stück weit auch auf dem Platz und in der Halle ausbilden. Aber die Betonung liegt auf “auch”. Und auf “ein Stück weit”. Die Definition von “Reiten können” beschreibt heutzutage die Fertigkeit, das Pferd dank ausgefeilter Hilfengebung tolle Sachen machen zu lassen und es in jeder Situation zu beherrschen. Diese Skills benötigt man in der Pferd-Reiter-Dyade in einem viel geringeren Maße, weil diese nicht auf die Steuerung und Kontrolle eines potenziell widersetzlichen oder defizitären Pferdes abzielt, sondern auf Bewegen in physischer Einheit.

Meine Arbeit zielt darauf ab, möglichst viele Menschen mit ihren Pferden zu einem guten Team werden zu lassen, zu einer Potenzialentfaltungsgemeinschaft. Was diese Dyaden dann irgendwann können, hängt von sehr vielen Faktoren ab, nicht zuletzt von dem, was ihnen Spaß macht, weil sie es gut können. Das schließt weder das Dressur- oder Spring- oder Western- noch das Gangpferde- oder Sonstwasreiten als solches aus, sondern nur die physiologisch fragwürdigen derzeitigen Bewegungsideale.

Allerdings setzt dieser Ansatz voraus, dass die Hufe zu den physiologischen Bewegungsmustern passen. Dabei haben sich die Hufe bei den Pferden meiner KursteilnehmerInnen häufig als limitierender Faktor gezeigt, denn, wie gesagt, die meisten Bearbeitungen orientieren sich an Pathologien bzw. an den zur Norm gewordenen pathologischen Bewegungsmustern. Die physiologischen Bewegungsmuster des Gebrauchspferdes, das den bestmöglichen Gebrauch von dem Körper macht, den es nun mal hat, funktionieren mit den von Dr. Hiltrud Strasser definierten Hufwinkeln am besten (man könnte sagen, die Hufe wollen dann auch dahin). Es ist wie mit den Bewegungsmustern: Die physiologischen Bewegungsmustern zugrundeliegenden Prinzipien sind immer gleich. Die Unterschiede finden wir in den Pathologien. 


Das Foto zeigt den leicht verfremdeten Huf eines Pferdes, das im Laufe eines Kurses die passenden Füße für die neuen Aufgaben und Bewegungsmuster bekommen hat. Die Entwicklung ist sicher noch nicht fertig, aber alles ist auf einem guten Weg. 


Alle Pferde, die in den letzten Monaten im Rahmen der Kurse entweder durch Einsatz der Reiterinnen oder durch professionelle Hufbearbeiter neue Füße bekommen haben, laufen freier, geschmeidiger, weniger fühlig und viele traben freiwillig auf Asphalt. Das heißt nicht, dass man das zwingend so machen muss, aber zielführend ist es schon!



 

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