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Über Stock und Stein

Maren R., Maren Diehl • 9. November 2024
Blaze

Zur heutigen mutmachenden Ponygeschichte muss ich doch auch mal wieder etwas schreiben. Ich denke nämlich, dass Perfektionismus in der Arbeit mit Pferden sehr kontraproduktiv ist und dazu führt, dass Pferde wie Blaze auf's Abstellgleis geschoben werden. 


Natürlich hat Schmerzfreiheit für das Pferd oberste Priorität. Aber es gibt einen interessanten und wesentlichen Aspekt der Biotensegrität: Symmetrie ist keine wesentliche Eigenschaft tensegraler Systeme. Und die Fähigkeit, zu humpeln ist eine beachtliche Anpassungsleistung eines biotensegralen Systems. Wenn ein Pferd nach einer ausgeheilten Verletzung nicht klar läuft, liegt das daran, dass es erst wieder Vertrauen in die verletzte Gliedmaße und ein Gefühl für diese bekommen muss. Tut es wirklich nicht weh? Tut das Bein, was es soll? Lässt es sich anheben? Lässt es sich belasten? Gehört es wieder zum Team? Gerade das Sprunggelenk ist ein hochkomplexes Körperteil, wer damit selbst schon einmal Probleme hatte, kann das nachvollziehen. 


 Der beste Weg zur Reintegration ist da Belastung, die auch noch Spaß macht. Und dazu muss Mensch die Verantwortung für den Pferdekörper ans Pferd zurückgeben. Und woran erkennt man nun, ob das, was man macht, für das Pferd gut ist? Unter anderem am Blick, an der Haltung, an der Arbeits- und Experimentierfreude und an der Entwicklung.  Hier nun die Geschichte:

"Liebe Maren,
als ich Blaze vor fünf Jahren kennen lernte, hatte sie 100 Kilo zu viel und wechselnd warme Gelenke. An Reiten war erstmal nicht zu denken und wir spazierten immer nur wenige hundert Meter im Schritt. Seitdem hat sich viel getan. Blaze hat gut abgespeckt und wir haben unsere Reise auf dem Weg zum Reitpferd angetreten. Als Wiedereinsteiger ist es nicht so leicht (s)einen Weg durch den Dschungel der vielen „einzig richtigen“ Reitweisen und Meinungen zu finden. Wir haben uns also über akademische Reitkunst, Geitnergassen und schließlich klassischen Dressurunterricht über die Jahre entwickelt.

 
In den letzten drei Jahren hatte Blaze mehrere Verletzungen. Die letzte, eine schlimme Trittverletzung durch ein anderes Pferd, machte Bewegung über mehrere Monate fast unmöglich. Das Sprunggelenk hatte die Größe eines Handballs und war mit Blut gefüllt. Die Entscheidung zwischen Arthroskopie oder konservativer Therapie war knapp, fiel aber zu Gunsten letzterer aus. Über mehrere Wochen konnte sie das Gelenk nicht beugen. Hufe geben, säubern oder gar bearbeiten war nicht möglich. Als Blaze wieder lahmfrei über die Koppel trabte und wir das „Go“ vom Tierarzt bekamen, begann ich mit dem Aufbautraining, zunächst vom Boden. Wir fanden eine Trainerin, die klassische Dressur unterrichtet, und als es Blazes Zustand zuließ, begann ich, Reitstunden bei ihr zu nehmen. Die Entwicklung war zunächst gut, das Bein konnte sie wieder beugen und belasten. Jedoch hatte sich durch die Monate der Kompensation ihre Schiefe so ausgeprägt, dass wir gefühlt wieder bei Null begannen. 


Vor drei Monaten kam es zu einem erneuten Rückschlag und Blaze begann zu lahmen. Nicht im Geradeaus, aber in der Halle auf den Wendungen. Also rausnehmen, Schmerzmittel, wieder Pause. Eine Woche, zwei Wochen, … die Zeit verging, nichts änderte sich. Ich war frustriert. Wie sollte ich weiter machen? Mit jedem Rückschlag kam die Schiefe wieder. Wie sollte ich ein Pferd „gesunderhaltend gymnastizieren“, wenn es nicht fähig war auf dem Platz oder in der Halle zu laufen?


Da fiel mir Marens erstes Buch in die Hände. Und es standen so viele wahre Dinge darin, die aber irgendwie so ganz anders waren, als alles, was ich bislang gehört hatte. Ich begann also meine eigene Interpretation von Faszientraining mit Blaze. Wir gingen an der Hand ins Gelände und entdeckten dieses für uns neu: Ein Baumstamm? Da kann man hervorragend darübersteigen. Eine Steigung? Und los! Ein Graben? Kannst du ihn überwinden? Na klar!


Blaze wurde von Spaziergan zu Spaziergang geschickter. Sie lernte (von selbst) ihren Körper so einzusetzen, wie sie es zum Lösen, der gestellten Aufgaben brauchte. Ich machte ihr keine Vorgaben WIE sie ihre Beine setzen sollte. Ich frage sie, ob sie diese oder jene Herausforderung angehen wollte. Und sie bekam die Zeit, die sie brauchte, um sie zu lösen. Und sie durfte auch „nein“ sagen. Ihr Ausdruck veränderte sich. Die Augen wurden wacher, sie begann mich anzusehen und wirkte jedes Mal stolz, wenn sie es schaffte, ein Hindernis zu meistern. 


Motiviert durch diese Erfolge meldete ich mich für den nächsten Geländereiter-Kurs an, in dem Wissen, ihn vielleicht auch nur spazieren zu können. Wir beschäftigten uns zunächst mit dem Konzept des Ziehens und mir wurde bewusst, dass ich mein Pferd durch die Idee des Nachgebens jahrelang nicht gerade unterstützt hatte. Ich konnte viele Parallelen zum Tanzen herstellen, die ich bislang nicht gesehen hatte. Auch hier ist es so, dass beide Tanzpartner einen Raum aufspannen müssen, bzw. der eine einen Raum vorgibt und der andere diesen mit Gegenspannung erwidert und aufrechterhält. Würde die Dame dem führenden Herrn einfach „nachgeben“, wäre ein gemeinsames Tanzen nicht möglich. Gleichzeitig nervt es mich selbst tierisch, wenn ein Herr beim Tanzen nicht führt, sondern mir stattdessen erklärt, wie ich meine Füße zu setzen habe… Diese Herren lasse ich dann meistens stehen. Er soll führen und mir den Raum, den Bewegungsradius, die Richtung zeigen. Meine Füße, Hüften, Hände, Schultern setze ich dann selbst so, wie ich es brauche. 


Sollte das beim Reiten etwa auch so sein?


Durch die familiäre Atmosphäre, diesen sicheren Raum, in dem man alle Fragen stellen und alle Zweifel teilen darf, ging das Lernen der Theorie sehr leicht. Und es tat unheimlich gut zu sehen und zu fühlen, dass man mit seinen Problemen nicht alleine ist. 

 Als wir das Ziehen ans Gebiss vom Boden aus begriffen hatten, ging es ab in den Sattel. 


Auch hier änderte der Kurs meine Idee und mein Verständnis vom gemeinsamen „Ausreiten“. Wie sagt Maren: „Zur Ausstattung eines jeden Reiters gehören gute Wanderschuhe“. So ist es! Es ist nicht schwarz oder weiß. Ich muss mich nicht am Anfang eines Ausrittes entscheiden, ob ich reite oder laufe! Ich kann alles jederzeit ändern, so wie es uns am besten passt, je nach Laune, Wetter, Tagesform. Seitdem genießen wir einen „Ausspazier“ nach dem nächsten! 


Blaze trabt mittlerweile taktrein mehrere hundert Meter auf Asphalt und hat riesigen Spaß dabei, kleinere und größere Abenteuer im Gelände zu meistern! Ihr Körper verändert sich, die Beine stehen mittlerweile anders auf dem Boden, die Hufe werden formschöner (auch die Hufbearbeitung habe ich umgestellt). 


Es gibt immer noch Rückschläge ab und an. Tage an denen ein Bein wieder etwas ziept. Aber das ist ok. Mittlerweile kann ich mich immer mehr von der Idee verabschieden mein Pferd „fit zu machen“, um dann mit ihm Dressur reiten zu können oder es “zu gymnastizieren” um ins Gelände gehen zu können. Ich freunde mich mit der Idee an, dass wir (sie, aber auch ich) nun mal den Körper haben, den wir haben. Mit all unseren Stärken und Schwächen. Und jetzt machen wir das Beste daraus. Ich freue mich auf die weitere Entwicklung! 


Danke, Maren, für die Möglichkeit mein Pferd neu kennenzulernen, unsere Beziehung neu zu definieren und für das Gefühl, nicht zu blöd zu sein! 


 Fortsetzung folgt 😊 "


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Wo liegt eigentlich euer Fokus, wenn ihr mit eurem Pferd zusammen seid oder mit einem Klientenpferd? Wie sieht euer Weg mit diesem Pferd aus? 

Habt ihr ein Bild davon, wie euer Pferd oder dieses Klientenpferd als starkes, gesundes und belastbares Pferd aussehen würde? Habt ihr eine Vorstellung von den Potenzialen eures Pferdes? Wisst ihr, was es leisten könnte und wollte? 

Ein sehr großer Teil der Pferde, die ich sehe, ist dauerhaft in Behandlung oder Reha, kaum belastbar, und es haben sich ganze Ausbildungssysteme für kleinschrittige Bewegungsoptimierung entwickelt. Diese werden inzwischen leider auch auf die Ausbildung junger Pferde angewandt, die als erstes lernen müssen, so zu laufen wie das kaputte Rehapferd, das keinen Schritt neben der Spur machen darf. 

Ein kleiner Teil der Reiter und Pferde hat das Zeug für den großen Sport, wobei die meisten dieser Pferde ihr Niveau nur durch intensive Betreuung und Behandlung eine Zeit lang halten können. Das sind also nicht zwangsläufig die belastbarsten Pferde, sondern eher die besttherapierten. 

Bei den ehrgeizigen Reiter*innen kommt es darauf an, korrekte Hilfen zu geben, die vom Pferd ebenso korrekt befolgt werden müsse. Die Ausbildungsskala beginnt mit Seitengängen und der hohen Schule... Die meisten von ihnen bleiben irgendwann stecken, es geht nicht weiter, der Gaul will nicht mehr und wird krank. Womit diese Gruppe eine große Schnittmenge mit den anderen beiden Gruppen aufweist. 

Es gibt sicher noch viele weitere Gruppen, die sich dadurch auszeichnen, dass sie diese Schnittmengen mit den oben genannten haben. 

Eine sehr eigene Gruppe mit wenigen Schnittmengen ist die der gesunden und belastbaren Pferde. Anstatt nun weiter die Abstrusitäten zu betrachten, schauen wir doch einfach mal, wodurch sich diese Gruppe auszeichnet: 

Diese Pferde bewegen sich viel im Gelände, auf unterschiedlichen Untergründen und können sich in allen Gangarten bergauf und bergab bewegen. Sie stolpern selten, haben eine gute und unempfindlich Sattellage und tragen ihre Reiter*innen sicher. Sie sind in der Lage, Geländehindernisse wie Gräben und Baumstämme, Bäche und Hänge zu überwinden. Notfalls kommen sie auch auf dem Reitplatz klar... 

Diese Pferde sind ausdauernd, belastbar, meistens recht zuverlässig, unternehmungsfreudig und vor allem selten krank. Sie sind irgendwie normal. 

Es ist ein Trugschluss, dass die Pferde das können, weil sie gesund sind. Sie sind gesund, weil sie das können und weil sie ihren eigenen Aufgabenbereich haben. 

Es gibt einen gangbaren Weg dorthin.

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