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Synergetisches Forschen oder Freischwimmer im Haifischbecken?

Maren Diehl • 29. Januar 2022
Freischwimmer im Haifischbecken?

Die Zukunft des Lernens im WORLD WIDE WEB 


Heute morgen habe ich lange darüber nachgedacht, worüber ich schreiben möchte und was es wert ist, mitgeteilt zu werden.

Die beiden ersten Online-Kurse "Allerbeste Argumente für Geländereitende" und "Biotensegrity Pioneers" laufen, weitere sind in Arbeit, und ich bin immer noch glücklich mit diesem Format.


Plötzlich war ich mitten drin im Thema des synergetischen* Lernens in meinen Onlinekursen. Ich glaube, es macht für mich ebenso wie für das Ganze einen großen Unterschied, wie das Lernen stattfindet. Durch das Internet haben alle Menschen Zugang zu mehr Wissen, als sie jemals alleine verarbeiten und sinnvoll nutzen können, während andererseits qualitativ sehr unterschiedliche Informationen gleichwertig dargestellt werden und die verkürztesten und fehlinterpretiertesten, aber eingängigen Behauptungen sich am schnellsten und weitesten verbreiten. 


Eigentlich war ja einer der Grundgedanke bei der Entstehung des World Wide Web (vom Gewinnstreben mal abgesehen, aber ich glaube, das kam erst später), dass es zu mehr Bildungsgerechtigkeit kommt, wenn alle Menschen Zugang zum gesamten Wissen der Menschheit haben. Nun haben wir diesen Zugriff. Aber leider hat ein großer Teil der Menschheit sich überfordert und desorientiert in isolierte Blasen der Komplexitätsverweigerung zurückgezogen, in denen die Welt einfach und übersichtlich zu sein scheint. In denen einem jemand sagt, wie die Welt ist. Man arbeitet sich an feindlichen Blasen ab, und das war's. Oder man befindet sich in einer Blase, die besser ist als alle anderen und sich gegen alles abschottet.

Das kann es doch nicht sein, oder?


Wie könnte denn ein sinnvoller, zielführender Umgang mit der Komplexität des Wissens aussehen? Ein Hirn alleine reicht nicht. Qualitativ hochwertige, gut vernetzte und dennoch überschaubare ökologische Nischen sind für das Forschen und Lernen in kleinen Gruppen wichtig. Es kann nicht jede*r alles wissen, aber dort können sich Erfahrungswelten bilden, in denen der Austausch ständig neue kreative Gedankenprozesse anregt, aus denen wieder neue Fragen, neue Versuchsreihen und neue Erkenntnisse entstehen.


Solche Gruppen können wie ein Organismus sein, in dem ein Teil das Futter ausfindig macht, der nächste es besorgt, ein anderer es überprüft, ein weiterer es verarbeitet, verdaut .... Der gesamte Organismus profitiert von dieser Arbeitsteilung. Das sind synergetische Prozesse, die dem weltweiten wissenschaftlichen Arbeiten entsprechen und gleichzeitig jedem Mitglied, nahezu unabhängig vom Bildungsstand oder gar akademischen Graden, eine Teilhabe am gemeinsamen Wachstum ermöglichen.


Das macht richtig viel Spaß und ist sehr kreativ, weil die Gruppe sich immer das nächste passende Stückchen Information sucht und in der Praxis verarbeitet, anstatt Berge beliebigen Wissens anzuhäufen, das in der Summe keinen Sinn ergibt. 


Hier wird meine persönliche Unfähigkeit, zweimal das gleiche Programm abzuspulen, zur Kernkompetenz! Das, was nach Listen, Übungsvorlagen und präzisen Arbeitsprogammen suchende Kursteilnehmer*innen immer wieder zur Verzweiflung gebracht hat, ist das, was diese synergetischen Prozesse erst möglich macht. 


Die Zeitfenster zwischen den Meetings meiner Kurse sind dazu da, mit den neuen Ideen zum Pferd zu flitzen (oder in den Wald, auf die Yogamatte, in den Baumarkt oder ins Kampfkunsttraining) und sie im wirklichen Leben zu erfahren. Wieder zurück, können alle Erkenntnisse und neuen Fragen in einer gemeinsamen Google Präsentation geteilt werden. Erkenntnisse fügen sich zusammen, während ich Fragen beantworte oder Hinweise zur Beantwortung gebe und Forschungsaufgaben verteile. Die individuellen Quantensprünge ereignen sich meistens im Austausch mit dem Pferd, die der Gruppe im Austausch der Erfahrungen. Manchmal stapeln sich die Fragezeichen, und dann spiele ich Tetris. Ein, zwei Klötzchen an der richtigen Stelle, alles fügt sich zusammen und schwupps, ist der Weg frei für das nächste Kursmodul. 


Das ist die Zukunft des Lernens, wie ich sie mir für "meine" Themen vorstelle. 

Biotensegrität, die Bugs in der hebelbasierten orthodoxen Biomechanik, die Schlüsselfunktion des Lumbosakralgelenks, die Gebrauchshaltung, der Faszienkörper als Bewegungsorgan, die Definition positiver Bewegungsabläufe... und als übergeordnete Frage: "Was macht das gesunde, belastbare und zuverlässige Reitpferd aus?"


Die Vernetzung mit anderen ökologischen Nischen des Lernens und Forschens wirkt dabei unglaublich belebend. Nach jedem Treffen mit Forschenden aus dem Umfeld des Biotensegrity Archive habe ich tausend neue Erkenntnisse, erschließen sich weitere Bereiche, so dass ich jedesmal einen kompletten neuen Kurs vom Stapel lassen könnte, wenn der Tag 48 Stunden und die Woche 14 Tage hätte. Der Austausch mit Hufbearbeitenden und Behandelnden, Reitenden und Trainierenden sorgt dafür, dass ich alle meine Vorstellungen ständig überprüfe und dadurch schlüssig halte. Am schönsten für mich ist aber das Feedback von Pferden, die ihren Menschen signalisieren, dass das SO alles einen Sinn ergibt, dass man SO gut und gerne arbeiten kann. Die älteren Pferde sagen "Na endlich!" oder "Na, geht doch!", die jüngeren "Ja und, wo war jetzt das Problem?" und die Patienten "Ach!!?"


Du hast Lust, ein Teil dieser synergetischen Prozesse zu werden, du bist fasziniert von dem Gedanken daran, ohne zu wissen warum? Du möchtest in einer genialen Kombination aus Theorie und Praxis mehr über die oben genannten Themen erfahren? Du möchtest endlich herausfinden, was denn nun das belastbare und gesunde Pferd ausmacht?


Es gibt noch einen Platz beim nächsten Biotensegrity Pioneers Kurs und mehrere bei der nächsten Staffel Allerbeste Argumente für Geländereitende. Ich freue mich auf dich!


*Die Synergie oder der Synergismus (griechisch συνεργία synergía, oder συνεργισμός synergismós, „die Zusammenarbeit“) bezeichnet das Zusammenwirken von Lebewesen, Stoffen oder Kräften im Sinne von „sich gegenseitig fördern“ bzw. einen daraus resultierenden gemeinsamen Nutzen. (Wikipedia)

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Wo liegt eigentlich euer Fokus, wenn ihr mit eurem Pferd zusammen seid oder mit einem Klientenpferd? Wie sieht euer Weg mit diesem Pferd aus? 

Habt ihr ein Bild davon, wie euer Pferd oder dieses Klientenpferd als starkes, gesundes und belastbares Pferd aussehen würde? Habt ihr eine Vorstellung von den Potenzialen eures Pferdes? Wisst ihr, was es leisten könnte und wollte? 

Ein sehr großer Teil der Pferde, die ich sehe, ist dauerhaft in Behandlung oder Reha, kaum belastbar, und es haben sich ganze Ausbildungssysteme für kleinschrittige Bewegungsoptimierung entwickelt. Diese werden inzwischen leider auch auf die Ausbildung junger Pferde angewandt, die als erstes lernen müssen, so zu laufen wie das kaputte Rehapferd, das keinen Schritt neben der Spur machen darf. 

Ein kleiner Teil der Reiter und Pferde hat das Zeug für den großen Sport, wobei die meisten dieser Pferde ihr Niveau nur durch intensive Betreuung und Behandlung eine Zeit lang halten können. Das sind also nicht zwangsläufig die belastbarsten Pferde, sondern eher die besttherapierten. 

Bei den ehrgeizigen Reiter*innen kommt es darauf an, korrekte Hilfen zu geben, die vom Pferd ebenso korrekt befolgt werden müsse. Die Ausbildungsskala beginnt mit Seitengängen und der hohen Schule... Die meisten von ihnen bleiben irgendwann stecken, es geht nicht weiter, der Gaul will nicht mehr und wird krank. Womit diese Gruppe eine große Schnittmenge mit den anderen beiden Gruppen aufweist. 

Es gibt sicher noch viele weitere Gruppen, die sich dadurch auszeichnen, dass sie diese Schnittmengen mit den oben genannten haben. 

Eine sehr eigene Gruppe mit wenigen Schnittmengen ist die der gesunden und belastbaren Pferde. Anstatt nun weiter die Abstrusitäten zu betrachten, schauen wir doch einfach mal, wodurch sich diese Gruppe auszeichnet: 

Diese Pferde bewegen sich viel im Gelände, auf unterschiedlichen Untergründen und können sich in allen Gangarten bergauf und bergab bewegen. Sie stolpern selten, haben eine gute und unempfindlich Sattellage und tragen ihre Reiter*innen sicher. Sie sind in der Lage, Geländehindernisse wie Gräben und Baumstämme, Bäche und Hänge zu überwinden. Notfalls kommen sie auch auf dem Reitplatz klar... 

Diese Pferde sind ausdauernd, belastbar, meistens recht zuverlässig, unternehmungsfreudig und vor allem selten krank. Sie sind irgendwie normal. 

Es ist ein Trugschluss, dass die Pferde das können, weil sie gesund sind. Sie sind gesund, weil sie das können und weil sie ihren eigenen Aufgabenbereich haben. 

Es gibt einen gangbaren Weg dorthin.

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