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Gebrauchshaltung und Distanzierung

Maren Diehl • 8. April 2022
Eine gemeinsame Sprache finden

Moin ihr Lieben,

mir ist heute Morgen aufgefallen, dass ich vielleicht doch noch etwas zu meiner Arbeit erklären muss.

Gestern habe ich mich in einer Facebook-Gruppe recht deutlich gegen ein "die behandeln die gleichen Themen, also machen die das Gleiche" gewehrt. Denn: Ersteres kann stimmen, Letzteres nicht.


In den letzten Jahren habe ich mir sehr viel erarbeitet und eine recht einmalige Synthese geschaffen, die mir so noch nirgendwo sonst begegnet ist. Vermutlich war ich eine der Ersten im Pferdebereich, die über die Genialität des Faszienkörpers als Bewegungsorgan geschrieben und gelehrt haben. Ich bin mit Hilfe des Urgesteins der Biotensegrität (Steve Levin, Susan Lowell de Solarzano, Graham Scarr und vielen anderen, in Meetings und per E-Mail-Austausch) sehr tief in das Thema eingetaucht und habe gleichzeitig einen Praxisbezug herstellen können, der bei den Mitgliedern des Biotensegrity Archive großen Anklang findet. Mein Buch über Biotensegrity stand am Anfang dieser Zusammenarbeit, war sozusagen meine Eintrittskarte. 


Parallel dazu habe ich mich mit der Ausbildung des von Hans von Heydebreck beschriebenen Gebrauchspferdes für den Freizeitbereich befasst und mit der Funktion des Lumbosakralgelenks. Aufgrund der zahlreichen durch den dysfunktionalen Gebrauch des Lumbosakralgelenks verursachten Pathologien weiß ich inzwischen mehr über Anatomie und Erkrankungen des Bewegungsapparates, als ich je wissen wollte. 


In meinen Kursen breche ich die Theorie auf ein überschaubares, aber nicht verfälschendes Maß herunter und bringe die Teilnehmenden auf den Weg zu Ihrer persönlichen Forschungsreise. Vor allem achte ich darauf, dass das Denken keine unerlaubten Abkürzungen nimmt und der physische Körper den Weg mitgeht. 


Es gibt ein paar wenige Pferdetrainer*innen, die Biotensegrität fühlen und als passendes Modell wahrnehmen. Es gibt Therapeut*innen, die sich mit dem Thema befasst haben und deren Arbeit durch Biotensegrity inspiriert wurde.


Und leider gibt es inzwischen ziemlich viele Leute, die behaupten (1) zu wissen, was ich "meine", ohne je (oder in den letzten 10 Jahren) mit mir gesprochen oder an einem meiner Kurse teilgenommen zu haben und (2) dass das ja das Gleiche sei wie das, was sie selbst sagen/machen. Von Letzteren möchte ich mich ganz deutlich distanzieren. (Solltet ihr wissen wollen, weil es euch persönlich betrifft, in wie weit was auf bestimmte Personen zutrifft, beantworte ich das gerne kurz per PN.)


Uff. Das war jetzt etwas, was ich nicht gerne mache. Es geht hier auch nicht darum, wer womit Recht oder Unrecht hat, und für inhaltliche Diskussionen bin ich immer zu haben. Aber ab einem gewissen Punkt wird die Behauptung, ja das Gleiche zu sagen/meinen/machen, übergriffig (wobei die auslösende Bemerkung selbst nicht übergriffig war, sondern nur die Notwendigkeit dieses Textes aufgezeigt hat). 


Die kompetenten Wegbegleiter*innen, vor allem die der ersten Stunden, wie Katja Eser und Maike Knifka, haben viel mit mir diskutiert, an Kursen teilgenommen, Biotensegrität wirklich in ihre Arbeit integriert und würden nie behaupten, das Gleiche zu machen wie ich und können doch sagen, dass sie ungefähr wissen, was ich meine, wo wir uns einig sind und wo nicht. Daher hoffe ich, dass sich nicht die Falschen angesprochen fühlen!


In diesen Zusammenhang passt ein Bild, das ich sehr gern mag. Das Bild zeigt ein junges Pferd mit seiner Reiterin zu Beginn des zweiten Jahres der Ausbildung zum Gebrauchspferd. Es steht geduldig an einem leichten Hang über viel Boden, mit vier nahezu senkrechten Röhrbeinen und stabilem Rücken, während einer längeren Ausführung meinerseits im Rahmen des ersten Live-Trainingstages seit Ausbildungsbeginn im März 2021.


Warum ich dieses Bild liebe?

Ein gesundes und belastbares Pferd steht mit vier senkrechten Röhrbeinen. Auch wenn es durch die Perspektive anders wirkt: Das Pferd steht, mit weitgehend senkrechten Röhrbeinen und einem stabilen Rücken, tätig aber zwanglos da. 


Das ist für mich der Inbegriff eines Reitpferdes, das in dem Sinne Gebrauchspferd ist, als es den bestmöglichen (effizienten und verschleißfreien) Gebrauch von seinem Körper macht und zu allem zu gebrauchen ist. Das ist ein Anblick, den wir nicht mehr als normal empfinden. Irgendwann hat sich die Pseudoversammlung der Bergziegenhaltung als neues Schönheitsideal durchgesetzt, in der die Beine unter den Pferdeleib geschoben sind, das Becken bei geöffnetem Lumbosakralgelenk steil gestellt, der Bauch ebenso hängend wie der Rumpf zwischen den Schultern - vom Rücken, der gnädigerweise unter dem Sattel verschwindet, ganz zu schweigen. 


Und die Reiterin sitzt einfach. Sie kann sitzen, weil sie getragen wird.  


Das Pferd ist weder Opfer noch Patient. Es ist ein Reitpferd. 


Letztendlich sind es die Bilder, die das angestrebte Ziel darstellen sollen oder das Ergebnis der Ausbildung, oft sogar die Titelbilder von Homepages oder die Logos und die in Lehrbüchern verarbeiteten Fotos, an denen sich Unterschiede und Unvereinbarkeiten erkennen lassen. 


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Wo liegt eigentlich euer Fokus, wenn ihr mit eurem Pferd zusammen seid oder mit einem Klientenpferd? Wie sieht euer Weg mit diesem Pferd aus? 

Habt ihr ein Bild davon, wie euer Pferd oder dieses Klientenpferd als starkes, gesundes und belastbares Pferd aussehen würde? Habt ihr eine Vorstellung von den Potenzialen eures Pferdes? Wisst ihr, was es leisten könnte und wollte? 

Ein sehr großer Teil der Pferde, die ich sehe, ist dauerhaft in Behandlung oder Reha, kaum belastbar, und es haben sich ganze Ausbildungssysteme für kleinschrittige Bewegungsoptimierung entwickelt. Diese werden inzwischen leider auch auf die Ausbildung junger Pferde angewandt, die als erstes lernen müssen, so zu laufen wie das kaputte Rehapferd, das keinen Schritt neben der Spur machen darf. 

Ein kleiner Teil der Reiter und Pferde hat das Zeug für den großen Sport, wobei die meisten dieser Pferde ihr Niveau nur durch intensive Betreuung und Behandlung eine Zeit lang halten können. Das sind also nicht zwangsläufig die belastbarsten Pferde, sondern eher die besttherapierten. 

Bei den ehrgeizigen Reiter*innen kommt es darauf an, korrekte Hilfen zu geben, die vom Pferd ebenso korrekt befolgt werden müsse. Die Ausbildungsskala beginnt mit Seitengängen und der hohen Schule... Die meisten von ihnen bleiben irgendwann stecken, es geht nicht weiter, der Gaul will nicht mehr und wird krank. Womit diese Gruppe eine große Schnittmenge mit den anderen beiden Gruppen aufweist. 

Es gibt sicher noch viele weitere Gruppen, die sich dadurch auszeichnen, dass sie diese Schnittmengen mit den oben genannten haben. 

Eine sehr eigene Gruppe mit wenigen Schnittmengen ist die der gesunden und belastbaren Pferde. Anstatt nun weiter die Abstrusitäten zu betrachten, schauen wir doch einfach mal, wodurch sich diese Gruppe auszeichnet: 

Diese Pferde bewegen sich viel im Gelände, auf unterschiedlichen Untergründen und können sich in allen Gangarten bergauf und bergab bewegen. Sie stolpern selten, haben eine gute und unempfindlich Sattellage und tragen ihre Reiter*innen sicher. Sie sind in der Lage, Geländehindernisse wie Gräben und Baumstämme, Bäche und Hänge zu überwinden. Notfalls kommen sie auch auf dem Reitplatz klar... 

Diese Pferde sind ausdauernd, belastbar, meistens recht zuverlässig, unternehmungsfreudig und vor allem selten krank. Sie sind irgendwie normal. 

Es ist ein Trugschluss, dass die Pferde das können, weil sie gesund sind. Sie sind gesund, weil sie das können und weil sie ihren eigenen Aufgabenbereich haben. 

Es gibt einen gangbaren Weg dorthin.

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