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Die Sprache - Wundertüte oder Zankapfel?

Maren Diehl • 26. Februar 2022
Eine gemeinsame Sprache finden

In synergetischen Prozessen lernen alle. Das ist das Begeisternde daran. Findet das synergetische Lernen online statt, beziehungsweise finden die individuellen Forschungsprozesse aus dem wirklichen Leben im Netz zusammen, wird die gemeinsame Sprache besonders wichtig. 


Es zeigt sich auch in den aktuellen Kursen: Ein neues Erklärungsmodell für Bewegungszusammenhänge benötigt eine neue Sprache, mit der alles, was aus diesem Modell erwächst, auch möglichst genau beschrieben und vermittelt werden kann. Nach Möglichkeit sollte es sich um eine klare, präzise und verständliche Sprache handeln, die sich ohne Fachwissen erschließt.


Biotensegrität ist weder eine Therapie- noch eine Trainingsmethode. Das ist, denke ich, inzwischen
hinreichend bekannt. 



Biotensegrität liefert das, was die orthodoxe hebelbasierte Biomechanik nie liefern konnte: 

Ein Erklärungsmodell, das das gesunde Bewegungsempfinden so darstellt, dass es sich für Menschen mit einem solchen auch erschließt. Nun liegt es an der Sprache, diese Darstellung unverzerrt zu vermitteln. 


Wenn sich nun Therapierende über Biotensegrität austauschen, benutzen sie verständlicherweise ihren eigenen Jargon, der sich bewährt hat und die Kommunikation mit denen vereinfacht, die die gleiche Sprache sprechen. Diese Sprache ist aber, wie ich inzwischen weiß, nicht einmal in den verschiedenen Schulen der manuellen Therapie (oder in den verschiedenen Reitweisen) die gleiche. 


Zudem beziehen sich viele Beschreibungen oder Definitionen auf eine abstrakte Situation, die für Praktiker absolut unverständlich ist. Die Vereinfachung in der Betrachtung des Körpers ist in vielerlei Hinsicht sinnentstellend:


• Es wird ein geschlossenes Körperuniversum dargestellt, in dem der Körper, meistens im Stand, unabhängig von der Außenwelt betrachtet wird. 

• Bewegung wird als Bewegung der Teile zueinander dargestellt.

• Das betrachtete Lebewesen erträgt, es hat keine Absicht, keinen Willen.

• Es fehlt die Unterscheidung zwischen Handeln und Geschehenlassen.

• Wird der Körper in Bezug zur Umwelt und den wirkenden Kräften betrachtet, dann als Opfer, als Objekt, auf das feindliche Kräfte wirken. 


Das ist einer der Gründe, warum so viele bewegungskompetente Laien abwinken, wenn es um die Theorie geht. Das, was erklärt wird, steht in keinem erkennbaren Zusammenhang mit ihrer Erfahrungswelt (über die sie durchaus gerne sprechen würden). Ich habe viele intelligente, bewegungskompetente Geländereitende kennengelernt, die nach eigener Aussage "nichts verstehen", aber mit ihren gesunden Pferden alles machen/reiten. Und ich habe noch mehr Therapierende erlebt, die beim (Selbst-)Springen Angst um ihren Rücken und die Knie haben und für kein Geld der Welt treppab schwungvoll zwei Stufen gleichzeitig nehmen würden. 


Deshalb stellt sich für mich die Frage, was die häufig enorme Diskrepanz zwischen dem therapeutischen Wissen und der eigenen aktiven, zielorientierten Bewegungskompetenz verursacht? Aus dieser Frage ergeben sich sofort die nächsten: Was machen die Therapeutensprache und der gewohnte oben beschriebene Bezugsrahmen mit dem Bewegungsverständnis? Werden Therapierende (und Trainer*innen) selbst zum Opfer des Systems, dessen Sprache sie lernen müssen? Eignet sich die allgemeine Therapeutensprache für die Ausbildung von bewegungskompetenten Laien? 


Lassen die Sprache und die durch sie übermittelten Bewegungsvorstellungen überhaupt zu, beispielsweise bergab zu galoppieren? Lassen sie zu, die Treppe hinab zwei Stufen gleichzeitig zu nehmen?


Ein anderes Beispiel: RÜCKWÄRTS


Was impliziert das Wort "rückwärts" in Bezug auf die Teile eines sich bewegenden Lebewesens? Geht da überhaupt etwas zurück? WANN bewegt sich WAS in Bezug zu WAS?


Alle Körperteile bewegen sich im Verlauf einer konstanten Vorwärtsbewegung eines Lebewesens vorwärts. Immer. Das liegt an der eingebauten natürlichen Effizienz. Allerdings bewegen sie sich nicht immer gleich schnell oder auf der gleichen Achse. Wenn nun in der Vorwärtsbewegung ein Vorderbein des Pferdes durch Muskelarbeit zurück geführt wird, ist das eine mögliche Sichtweise des bekanntermaßen das Ergebnis verfälschenden Betrachters. Sie setzt voraus, dass das Pferd ausschließlich in Bezug zu sich selbst gesehen wird. Denn: In Bezug zum Boden bewegt sich in dieser Phase der Rest des Pferdes schneller als das Bein, in dem sich auch wieder die Teile im Verhältnis zum Boden unterschiedlich schnell vorwärts bewegen. 


Das ist keine Erbsenzählerei, weil die unterschiedlichen Betrachtungsweisen eine sehr unterschiedliche Nutzung des myofaszialen Systems voraussetzen. Die Perspektive unseres Betrachters führt daher in der Bewegungspraxis unweigerlich in einen negativen Bewegungsablauf! 


Mit Biotensegrität als Erklärungsmodell ergeben sehr viele geläufige Beschreibungen keinen Sinn mehr. Die Betrachter müssen die Perspektive wechseln, um einem Lebewesen gerecht zu werden, das eine Absicht verfolgt und sich in ständiger Interaktion mit den von außen wirkenden Kräften befindet. 


Das ist eine Kollektivaufgabe, in der Nervensägen wie ich ebenso wichtig sind wie die Menschen mit dem jeweiligen Fachwissen. Als Nervensäge verfüge ich mit Sicherheit nur über einen Bruchteil dieses Fachwissens, habe aber einen eingebauten Blödsinnsdetektor, der Widersprüche zwischen Erklärung und Bewegungserfahrung sofort meldet.


Diskutieren bis zum Konsens...


...lautet die Devise. Bis die Beschreibung der Teile und der Abläufe dem Erleben entspricht und die Beschreibung des Erlebten die Anatomie und die wirkenden Kräfte korrekt wiedergibt. Bis die Beschreibung der absichtsvollen Interaktion des Lebewesens mit allen wirkenden Kräften gerecht wird.


Nur dann funktioniert die Kommunikation über die eigene Blase hinaus, nur dann ist ein sinnvoller und ergiebiger Austausch möglich.


TIPP: Euren ab Werk eingebauten Blödsinnsdetektor könnt ihr neu verdrahten. Damit er konsequent Blödsinn meldet anstatt euch mitzuteilen, dass ihr zu blöd seid.


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Wo liegt eigentlich euer Fokus, wenn ihr mit eurem Pferd zusammen seid oder mit einem Klientenpferd? Wie sieht euer Weg mit diesem Pferd aus? 

Habt ihr ein Bild davon, wie euer Pferd oder dieses Klientenpferd als starkes, gesundes und belastbares Pferd aussehen würde? Habt ihr eine Vorstellung von den Potenzialen eures Pferdes? Wisst ihr, was es leisten könnte und wollte? 

Ein sehr großer Teil der Pferde, die ich sehe, ist dauerhaft in Behandlung oder Reha, kaum belastbar, und es haben sich ganze Ausbildungssysteme für kleinschrittige Bewegungsoptimierung entwickelt. Diese werden inzwischen leider auch auf die Ausbildung junger Pferde angewandt, die als erstes lernen müssen, so zu laufen wie das kaputte Rehapferd, das keinen Schritt neben der Spur machen darf. 

Ein kleiner Teil der Reiter und Pferde hat das Zeug für den großen Sport, wobei die meisten dieser Pferde ihr Niveau nur durch intensive Betreuung und Behandlung eine Zeit lang halten können. Das sind also nicht zwangsläufig die belastbarsten Pferde, sondern eher die besttherapierten. 

Bei den ehrgeizigen Reiter*innen kommt es darauf an, korrekte Hilfen zu geben, die vom Pferd ebenso korrekt befolgt werden müsse. Die Ausbildungsskala beginnt mit Seitengängen und der hohen Schule... Die meisten von ihnen bleiben irgendwann stecken, es geht nicht weiter, der Gaul will nicht mehr und wird krank. Womit diese Gruppe eine große Schnittmenge mit den anderen beiden Gruppen aufweist. 

Es gibt sicher noch viele weitere Gruppen, die sich dadurch auszeichnen, dass sie diese Schnittmengen mit den oben genannten haben. 

Eine sehr eigene Gruppe mit wenigen Schnittmengen ist die der gesunden und belastbaren Pferde. Anstatt nun weiter die Abstrusitäten zu betrachten, schauen wir doch einfach mal, wodurch sich diese Gruppe auszeichnet: 

Diese Pferde bewegen sich viel im Gelände, auf unterschiedlichen Untergründen und können sich in allen Gangarten bergauf und bergab bewegen. Sie stolpern selten, haben eine gute und unempfindlich Sattellage und tragen ihre Reiter*innen sicher. Sie sind in der Lage, Geländehindernisse wie Gräben und Baumstämme, Bäche und Hänge zu überwinden. Notfalls kommen sie auch auf dem Reitplatz klar... 

Diese Pferde sind ausdauernd, belastbar, meistens recht zuverlässig, unternehmungsfreudig und vor allem selten krank. Sie sind irgendwie normal. 

Es ist ein Trugschluss, dass die Pferde das können, weil sie gesund sind. Sie sind gesund, weil sie das können und weil sie ihren eigenen Aufgabenbereich haben. 

Es gibt einen gangbaren Weg dorthin.

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