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Eine Ponygeschichte zum Mutmachen 1

Maren Diehl • 7. Januar 2023
Ein Islandpferd vor dem Sulky im Schnee

Teil 1


DIE ALTE DAME


"2015 riet unsere langjährige Osteopathin, meine damals 22-jährige Islandstute aufgrund ihrer Arthrosen in Rente zu schicken. Maximal kleine Spaziergänge könnten wir noch machen, ansonsten sollte ich das Pferd in Ruhe lassen. Angesichts des Reheschubs in 2013 scheute ich mich allerdings, das Pferd ohne nennenswerte Bewegung 24/7 auf die Weide zu schicken – und Rente ohne Weide...? Wir brauchten eine andere Lösung.


Die Anschaffung eines alten Sulkys, um das Pony auch mal flott und ohne Reitergewicht im Gelände zu bewegen, war Teil der Lösung, denn eine weitere Osteopathin, um eine Zweitmeinung befragt, schätzte des Ponys Gesundheitszustand weit weniger dramatisch ein. 


Im gleichen Jahr lud die neue Osteopathin Maren zu einem ihrer ersten Seminare über Biotensegrität nach Ostwestfalen ein und ich bekam eine allererste Idee von gesunden Bewegungsabläufen jenseits der Biomechanik, klarem Zweitakttrab, wie man ihn in der Reiterwelt gar nicht mehr so häufig antrifft, und davon, wie Pferde sich bewegen wollen. Vor allem aber blieb hängen, dass kein Pferd sich gern von seinem Menschen aufs „Arme Ich“ reduzieren lässt.


Zuhause folgte der erste Schreck: Nix klarer Zweitakttrab! In der Diagonalen fußte das Vorderbein munter vor dem Hinterbein auf und wieder ab – Pferd kaputt!!! Oder? Ein Telefonat mit Maren brachte Entwarnung: Keine Sorge, das sei zwar in der Tat kein Zweitakt, aber es handele sich ja um ein Gangpferd. Bei trageerschöpften Pferden fußt das diagonale Vorderbein NACH dem Hinterbein ab, lernte ich. Eine Töltverschiebung sei normal, alles halb so wild.


Na gut, dann weiter im Text! In diesem ersten, recht unspektakulären halben Jahr als Fahrpferd lief das Pony 700km vor seinem Gefährt, bis es zu Weihnachten einen maßgefertigten finnischen Sulky gab. Im Folgejahr 2016 wurden es 2000km allein am Sulky, inklusive vier mehrtägiger Wanderfahrten mit vollem Gepäck wie Zelt, Zaun und Stromgerät und Übernachtungen in der Fremde. 2017 brachte uns ähnliche Kilometerleistungen, wenn es auch nur für eine Wanderfahrt reichte. Diese allerdings in Begleitung einer Freundin und ihres 86cm großen Mini-Shettys samt Sulky!


2018 organisierten wir einen Holzrückekurs für Shetlandponys, an dem der inzwischen 25-jährige Isi als „Shetty ehrenhalber“ teilnehmen durfte und begeistert Stämmchen aus dem Wald zog. Zwei weitere Wanderfahrten, allein und mit dem Shettymann, rundeten das Pony-Jahr ab und im November brachte die Gebrauchshaltungskonferenz samt LSG-These neues Futter fürs Zweibeinerhirn. Außerdem zog Nachwuchs ein: eine 2-jährige Isi-Kaltblutmix-Stute, die in ein paar Jahren die Isi-Oma bei der Menschen-Bespaßung unterstützen sollte, zunächst aber in der Jungpferdeaufzucht Manieren lernte.


2019 brachte uns neben drei Tagen Heideurlaub in Shettybegleitung – unendlich flaches Land, in dem man gar nicht merkt, dass man plötzlich 35km auf dem Tacho hat! - unsere bislang längste gemeinsame Tour: 5 Tage und fast 130km waren wir unterwegs.


Natürlich gab es jedes Jahr kleinere Rückschläge, eine Verletzung hier, ein Sehnenproblemchen da, ein Arthritisschub dort. Begleitet von unserer Osteo und steter Bewegung, im Zweifel eben stundenlang im Schritt geradeaus, hielt uns jedoch nichts davon lange auf.


2020 wurde das erste Jahr, in dem das Pony das ganze Frühjahr und den Sommer immer wieder leicht unklar lief. Wir schafften eine 2-tägige Wanderfahrt, danach kam der Sulky aber seltener zum Einsatz. Wir waren zwar weiterhin täglich unterwegs, jedoch immer öfter zu Fuß. Ich begann mich damit abzufinden, dass nun doch das Rentenalter erreicht sei. Immerhin hatte uns unser finnisches Seniorenmobil noch 5 Jahre Sport und um die 7000 Kilometer im Gelände beschert. Wir begannen dafür, den noch auswärts wohnenden Nachwuchs zu besuchen und zu dritt das Gelände zu erlaufen."   Ende Teil 1.


Warum lasse ich Julia hier ihre Geschichte erzählen? Weil sie so viele wichtige Aspekte enthält und eine schöne Reise beschreibt.

• Der ethische Aspekt: Man stellt ein Pferd nicht einfach weg. 

• Der medizinische Aspekt: Arthrose wird durch Rumstehen nicht besser.

• Der praktische Aspekt: Am Sulky kann das Pferd sich frei bewegen, während Mensch auf dem Sulky (vor allem nach langen Arbeitstagen) nicht perfekt sein muss.

• Der emotionale Aspekt: Wind in den Segeln! Das Lebenselixier für Islandpferde.

• Der Abenteuer-Aspekt: Gemeinsam auf Wanderfahrt gehen, Neues erforschen und ausprobieren.


Interessant daran ist, wie sich das ganze Lebensgefühl für Julia und ihre Isi-Dame bereits nach unserem ersten Gespräch beim Seminar verändert hat. Da war die Frage an mich, wie wichtig denn Gymnastizierung auf dem Platz sei, die könnten sie beide nicht leiden. Meine Gegenfragen waren: Läuft das Pferd gerne am Sulky? Ja. Geht es ihm gut damit? Ja. Fährst du gerne? Ja.

Warum also sollte etwas so problemloses falsch sein? 

Warum sollte die ohnehin knappe gemeinsame Zeit nicht zur beiderseitigen Freude genutzt werden?


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Wo liegt eigentlich euer Fokus, wenn ihr mit eurem Pferd zusammen seid oder mit einem Klientenpferd? Wie sieht euer Weg mit diesem Pferd aus? 

Habt ihr ein Bild davon, wie euer Pferd oder dieses Klientenpferd als starkes, gesundes und belastbares Pferd aussehen würde? Habt ihr eine Vorstellung von den Potenzialen eures Pferdes? Wisst ihr, was es leisten könnte und wollte? 

Ein sehr großer Teil der Pferde, die ich sehe, ist dauerhaft in Behandlung oder Reha, kaum belastbar, und es haben sich ganze Ausbildungssysteme für kleinschrittige Bewegungsoptimierung entwickelt. Diese werden inzwischen leider auch auf die Ausbildung junger Pferde angewandt, die als erstes lernen müssen, so zu laufen wie das kaputte Rehapferd, das keinen Schritt neben der Spur machen darf. 

Ein kleiner Teil der Reiter und Pferde hat das Zeug für den großen Sport, wobei die meisten dieser Pferde ihr Niveau nur durch intensive Betreuung und Behandlung eine Zeit lang halten können. Das sind also nicht zwangsläufig die belastbarsten Pferde, sondern eher die besttherapierten. 

Bei den ehrgeizigen Reiter*innen kommt es darauf an, korrekte Hilfen zu geben, die vom Pferd ebenso korrekt befolgt werden müsse. Die Ausbildungsskala beginnt mit Seitengängen und der hohen Schule... Die meisten von ihnen bleiben irgendwann stecken, es geht nicht weiter, der Gaul will nicht mehr und wird krank. Womit diese Gruppe eine große Schnittmenge mit den anderen beiden Gruppen aufweist. 

Es gibt sicher noch viele weitere Gruppen, die sich dadurch auszeichnen, dass sie diese Schnittmengen mit den oben genannten haben. 

Eine sehr eigene Gruppe mit wenigen Schnittmengen ist die der gesunden und belastbaren Pferde. Anstatt nun weiter die Abstrusitäten zu betrachten, schauen wir doch einfach mal, wodurch sich diese Gruppe auszeichnet: 

Diese Pferde bewegen sich viel im Gelände, auf unterschiedlichen Untergründen und können sich in allen Gangarten bergauf und bergab bewegen. Sie stolpern selten, haben eine gute und unempfindlich Sattellage und tragen ihre Reiter*innen sicher. Sie sind in der Lage, Geländehindernisse wie Gräben und Baumstämme, Bäche und Hänge zu überwinden. Notfalls kommen sie auch auf dem Reitplatz klar... 

Diese Pferde sind ausdauernd, belastbar, meistens recht zuverlässig, unternehmungsfreudig und vor allem selten krank. Sie sind irgendwie normal. 

Es ist ein Trugschluss, dass die Pferde das können, weil sie gesund sind. Sie sind gesund, weil sie das können und weil sie ihren eigenen Aufgabenbereich haben. 

Es gibt einen gangbaren Weg dorthin.

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