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Der Konsens

Maren Diehl • 12. Dezember 2021
Die Gebrauchshaltung im Trabe nach Hans von Heydebreck

Es besteht die Überlegung, die Gebrauchshaltungskonferenz von 2018 als Online-Konferenz neu aufzulegen. Der Bedarf ist ersichtlich und wird demnächst dargelegt, hier zunächst der damals mit ca 50 Teilnehmenden erwirkte Konsens (vor allem für die, die ihn gesucht und nicht mehr gefunden haben):


Die verschiedenen Punkte, zu denen wir im Rahmen der Gebrauchshaltungskonferenz in Klingenmünster 2018 Einigkeit erzielen wollten, haben wir, die Gruppe der Referentinnen, im Vorfeld ausführlich diskutiert und besprochen. Die interne Einigkeit war für uns die Voraussetzung für die Zusammenarbeit im Rahmen der Konferenz und hat bereits viele unserer Gespräche wieder auf den Punkt gebracht, wenn wir uns in Einzelheiten zu verlieren drohten.


Die Einigkeit in grundlegenden Dingen ist Voraussetzung für eine konstruktive Auseinandersetzung auch im Dissens. Wer z.B. Biotensegrität für neumodischen Blödsinn hält oder Faszien als Einzelteile betrachtet, dem erschließen sich viele völlig logische Zusammenhänge nicht. Es ist daher auch für eure eigene Arbeit wichtig, in grundlegenden Fragen gegenüber Kunden, Patienten, Schülern, Kolleginnen und auch euch selbst Klarheit zu schaffen.


Die folgenden Punkte wurden während der Konferenz erläutert, am Ende der Konferenz den TeilnehmerInnen vorgestellt und ohne Widerspruch akzeptiert: 


1 Biotensegrität


Gültigkeit der Biotensegrität als allem Leben zugrundeliegende Struktur und Bauweise, als innewohnende Idee im platonischen Sinne, als Prämisse für weiterführende Annahmen, als Alternative zum auf Hebelwirkungen basierenden Erklärungsmodell der orthodoxen Biomechanik, als physiologische Reaktionsweise auf die Umwelt, als Bewegungsidee und Behandlungsgrundlage. 


Die vormals als Gelenke verstandenen Verbindungen zweier Druckelemente dienen vielmehr der Umlenkung der Kraft der Zugelemente. Hebel und Scherkräfte verlieren ihre Bedeutung. 


 Quellen: www.biotensegrity.com von Stephen Levin, das Buch „Basic Structure of Life“ von Graham Scarr, „Living Biotensegrity“ von Danièle-Claude Martin, „Jenseits der Biomechanik – Biotensegrity“ von mir. 


2 Der Faszienkörper


ist - unter anderem - ein Bewegungs- und Problemlösungsorgan, in dem alles mit allem verbunden ist und zudem das Netz, das von den Knochen aufgespannt wird und das gleichzeitig für „Spaciousness“ sorgt, für Raum *zwischen* den Knochen. Er ist ein lernfähiges, sich fortwährend selbst organisierendes und optimierendes Organ.


 3. Kriterien für die Gebrauchshaltung


zur Beurteilung des Ausbildungsstandes von Pferden sowie von Übungen und deren Nützlichkeit fürs Pferd:


 a) Reiner Gang = Eine klare Fußung in jeder Gangart ist eines der übergeordneten Ausbildungsziele und Hauptkriterium für die Beurteilung der Korrektheit der Ausbildung. Abweichungen sind möglich während des Trainings außerhalb der Komfortzone. Im Ergebnis, in der Vorführung dessen, was erstrebenswert ist, sind Taktfehler ein Ausschlusskriterium.


 b) Der Fesselstand und das Timing in der Bewegungsrichtung des Fesselkopfes verändern sich kurzfristig durch Veränderung in der Belastung, durch die Verschiebung der Bewegungsphasen und langfristig durch Training. Ein unterschiedlicher Fesselstand im diagonalen Beinpaar in der Stützbeinphase im Trab weist auf Taktverschiebungen hin. 


c) Die Linie Hüfte – CTÜ – Maul, wie von Hans von Heydebreck in seiner Schrift „Das Gebrauchspferd“ beschrieben, stellt ein zu beobachtendes Merkmal dar, das sich im Laufe der Ausbildung von abfallend über waagrecht hin zu evtl. aufsteigend entwickeln sollte, wobei mit der waagerechten Linie die Gebrauchshaltung erreicht ist. Im Ergebnis, in der Vorführung dessen, was erstrebenswert ist, ist ein von der geraden Linie Hüfte-Maul deutlich abweichender CTÜ ein Ausschlusskriterium.


4. LSG-These: 


Ein dauerhaft unter Last geöffnetes LSG ist pathogen / führt zu pathogenen Bewegungsmustern. Es gibt für jedes Pferd eine neutrale, stabile Stellung des LSG. Der passive Stehapparat ist auf ein neutral geschlossenes LSG angewiesen. Hankenbeugung und aktive Öffnung des LSG schließen sich gegenseitig aus. 


Für eine tensegrale Aufspannung des gesamten Körpers ist ein frei aus der Neutralnullstellung heraus bewegtes Becken Grundvoraussetzung. Nur eine effektive Stemm-/Entladungsphase bei Streckung der  Gliedmaßengelenke der Hinterhand und des Lumbosakralgelenks ermöglicht die Übertragung der Kraft auf das gesamte Muskel- Fasziennetzwerk.


5 Atmung


Die Atmung ist bei Mensch und Pferd an die Schubkraft gebunden, da das Zwerchfell zum tiefliegenden, rumpfstabilisierendem Muskelsystem gehört und nur in einem aktiven System aus Aufspannung und Bewegung funktionieren kann.


6. Relative Hankenbeugung 


ist etwas das dem Pferd situativ jederzeit zur Verfügung steht und entsteht durch Aufladung und Entladung der tensegralen Strukturen. Das Becken bleibt während der Stützbeinphase im Trab auf gleicher Höhe. Die Beugung der großen Gelenke der Hinterhand unter Last findet in gesunden Bewegungsabläufen in unspektakulärem Umfang jeder Zeit statt!


Die Hankenbeugung ermöglicht es dem Pferd, Energie zu speichern und sie kontrolliert (Menge und Richtung) wieder abzugeben. Aus Sicht des Pferdes ist ausgeprägte Hankenbeugung nur sinnvoll, wenn die Bewegungssituation sie zur Problemlösung erfordert. Also in Übergängen jeder Art.


Hankenbeugung ist die Einstellungsmöglichkeit für die Kraftrichtung. Je höher das Beugungspotenzial, um so größer die Flexibilität in Bezug auf Richtung und Kraftausdruck.


Hankenbeugung als Selbstzweck ist abzulehnen.


7. Keine Hankenbeugung


Das Heben der Kruppe in der Mitte der Stützbeinphase im Trab, verbunden mit einem geöffneten LSG, stellt ein pathogenes Bewegungsmuster dar.


8. Relatives Optimum


Das relative Optimum ist die beste Version seiner selbst, die ein Pferd zu einem bestimmten Zeitpunkt und unter bestimmten Bedingungen sein kann. 


Bildvergleiche sollten immer Vergleiche zwischen Bildern des relativen Optimums zu verschiedenen Zeitpunkten und unter definierten Bedingungen stattfinden.


Wenn sich das relative Optimum mit Blick auf die oben genannten Kriterien auf dem Weg zum gewählten Ideal verschlechtert, ist entweder der Weg unpassend oder das gewählte Ziel.



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Wo liegt eigentlich euer Fokus, wenn ihr mit eurem Pferd zusammen seid oder mit einem Klientenpferd? Wie sieht euer Weg mit diesem Pferd aus? 

Habt ihr ein Bild davon, wie euer Pferd oder dieses Klientenpferd als starkes, gesundes und belastbares Pferd aussehen würde? Habt ihr eine Vorstellung von den Potenzialen eures Pferdes? Wisst ihr, was es leisten könnte und wollte? 

Ein sehr großer Teil der Pferde, die ich sehe, ist dauerhaft in Behandlung oder Reha, kaum belastbar, und es haben sich ganze Ausbildungssysteme für kleinschrittige Bewegungsoptimierung entwickelt. Diese werden inzwischen leider auch auf die Ausbildung junger Pferde angewandt, die als erstes lernen müssen, so zu laufen wie das kaputte Rehapferd, das keinen Schritt neben der Spur machen darf. 

Ein kleiner Teil der Reiter und Pferde hat das Zeug für den großen Sport, wobei die meisten dieser Pferde ihr Niveau nur durch intensive Betreuung und Behandlung eine Zeit lang halten können. Das sind also nicht zwangsläufig die belastbarsten Pferde, sondern eher die besttherapierten. 

Bei den ehrgeizigen Reiter*innen kommt es darauf an, korrekte Hilfen zu geben, die vom Pferd ebenso korrekt befolgt werden müsse. Die Ausbildungsskala beginnt mit Seitengängen und der hohen Schule... Die meisten von ihnen bleiben irgendwann stecken, es geht nicht weiter, der Gaul will nicht mehr und wird krank. Womit diese Gruppe eine große Schnittmenge mit den anderen beiden Gruppen aufweist. 

Es gibt sicher noch viele weitere Gruppen, die sich dadurch auszeichnen, dass sie diese Schnittmengen mit den oben genannten haben. 

Eine sehr eigene Gruppe mit wenigen Schnittmengen ist die der gesunden und belastbaren Pferde. Anstatt nun weiter die Abstrusitäten zu betrachten, schauen wir doch einfach mal, wodurch sich diese Gruppe auszeichnet: 

Diese Pferde bewegen sich viel im Gelände, auf unterschiedlichen Untergründen und können sich in allen Gangarten bergauf und bergab bewegen. Sie stolpern selten, haben eine gute und unempfindlich Sattellage und tragen ihre Reiter*innen sicher. Sie sind in der Lage, Geländehindernisse wie Gräben und Baumstämme, Bäche und Hänge zu überwinden. Notfalls kommen sie auch auf dem Reitplatz klar... 

Diese Pferde sind ausdauernd, belastbar, meistens recht zuverlässig, unternehmungsfreudig und vor allem selten krank. Sie sind irgendwie normal. 

Es ist ein Trugschluss, dass die Pferde das können, weil sie gesund sind. Sie sind gesund, weil sie das können und weil sie ihren eigenen Aufgabenbereich haben. 

Es gibt einen gangbaren Weg dorthin.

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