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Allgemeiner Konsens? Paradigmenwechsel?

Maren Diehl • 11. Februar 2023
Das Netz

Was eine Teilnehmerin meiner Kurse per Kommentar bei mir bestellt hat, ist eine Antwort auf die Frage, warum und wodurch ich mich gegen den herrschenden Konsens stelle und was den Paradigmenwechsel ausmacht. Dazu stellt sich zunächst die Frage, was den herrschenden Konsens ausmacht.


Wie entsteht "allgemeiner Konsens"?


Besagter Konsens entsteht, wenn alle voneinander oder von den gleichen Texten abschreiben, wobei jeder das Gleiche wie alle anderen erklären möchte, nur anders. Also mit Alleinstellungsmerkmal. Aber von allen bestätigt. Manchmal mögen sie sich nicht mehr, wenn die Alleinstellungsmerkmale sich gegenseitig ausschließen. So wie gaaanz tief vorwärts-abwärts oder absolute Aufrichtung. Extrem gegen Extrem.


Aber die Konsensler halten auch keinen Dissens aus und möchten Biomechanik und Biotensegrität,  Baucher und Steinbrecht, Vorwärts-abwärts und absolute Aufrichtung, zu einem gewinnbringenden Sowohlalsauch verquirlen. Aber mit Alleinstellungsmerkmal. 


Das läuft dann auf solche Blüten hinaus, dass das Pferd, in lateinischer Sprache erklärt, seinen Rücken aufwölbt - was dann das sei, was Mensch als Versammlung spürt - während es aber in der folgenden deutschsprachigen Erklärung als unfähig beschrieben wird, den Rücken aufzuwölben. Beides im selben Text, wenige Zeilen auseinander. Merda tauri.


Der Paradigmenwechsel 


Und dann komme ich. Mit einem widerspruchsarmen Erklärungsmodell, das auf Pferde und Menschen überzeugend wirkt. Mit der Demontage der orthodoxen, hebelbasierten Biomechanik raube ich den meisten Systemen ihr sicher geglaubtes Fundament, denn die Konzepte von Biotensegrität und hebelbasierter orthodoxer Biomechanik sind nicht kompatibel. 


Wer Biotensegrität auch nur ansatzweise versteht und ehrlich mit sich selbst ist, muss einen Paradigmenwechsel vollziehen. Alle weiteren "Behauptungen" meinerseits sind Ergebnis des bereits vollzogenen Paradigmenwechsels.


"Behauptungen"


Ich behaupte beispielsweise, dass Pferde sich nicht durch muskelbetriebene Hebel bewegen. Dass Muskelarbeit generell überschätzt wird, was die Fähigkeit des Pferdes angeht, einen Reiter zu tragen. Und ich behaupte, dass ein Pferd gut daran tut, die ihm zur Verfügung stehenden Kräfte durch die Sattellage gegen das Reitergewicht zu richten, anstatt unter diesem hin-und herzurotieren. Ich kann erklären, warum sinnvoll gearbeitete Pferde wesentlich mehr können, als mit einem Reiter auf dem Rücken nach mehr als zwanzig Minuten bleibende Schäden zu erleiden und was das mit dem Lumbosakralgelenk zu tun hat.


Und ich kann die Zusammenhänge so erklären, dass alle, die es wirklich wissen wollen, die Prinzipien wirklich verstehen, spüren und von ihren Pferden bestätigt bekommen. 


Wissenschaftlichkeit


Viele wichtig, wissenschaftlich oder fachkundig erscheinende Texte fluten die Lesenden mit unzusammenhängenden Informationen, ohne irgendeinen Gedankengang auf den Punkt zu bringen. Man muss die Texte mehrfach lesen, um gezielt Konkretes herauszufiltern, das sich letztendlich als inkonsistent, als widersprüchlich und nicht zusammenpassend erweist. Diese Widersprüche (und häufig massive fachliche Fehler oder Bilder, die das Gegenteil von dem zeigen, was der Text beschreibt) finden sich, zusammen mit auf dem Paradigma der orthodoxen Biomechanik beruhenden Fehlschlüssen, in allen mir bekannten aktuellen Büchern und Schriften. Das kann ich so schreiben, weil ich mich durch alles mindestens bis zum ersten grundlegenden Fehler oder Widerspruch durchgearbeitet habe. :)


"Man frangst mit dem inneren Schenkel in die gängere Hand weil dann der Blinddarm in den Ganaschen für die erwünschte und der Gesundheit des Pferdes zuträgliche fasziale Tensegritätsausbildung wurgst."   


Da, wo ich meine fachliche Kompetenz im medizinischen Bereich für nicht ausreichend gehalten habe, habe ich mir entsprechende Hilfe geholt. Alles, was mein Verständnis für Biotensegrität angeht, durchläuft einen Peerreviewprozess mit dem Biotensegrity Archive, in dem selten etwas auf Anhieb durchgewunken wird. 


Beispielhaft


Ein Paradebeispiel für die fachliche Zerlegung eines Textes findet ihr in den beiden Blogposts von Maike Knifka und mir zu einem in der Natural Horse erschienenen Artikel von Frau Barbara Welter-Böller über das Lumbosakralgelenk. Im Anschluss waren alle empört über angebliche Stutenbeissereien, aber niemand, wirklich niemand, konnte auch nur eines unserer Argumente entkräften.


https://www.die-pferde-sind-nicht-das-problem.de/jenseits-von-meinung-anatomie

https://www.die-pferde-sind-nicht-das-problem.de/anatomie-in-vollstaendigen-zusammenhaengen


Warum mache ich das?


Letztendlich profitieren die Pferde von einem Paradigmenwechsel, und ich möchte mehr gesunde, tatkräftige, lebensfrohe Pferde sehen, die gerne mit ihren Menschen forschen und Abenteuer erleben. Der interaktive Lernprozess mit wenigen Teilnehmenden ist mir dabei  wichtiger als hunderte oder gar tausende Bewunderer, die alle meine Äußerungen mit "Ah!" und "Oh!" abnicken. 


Fazit


Wer sich konsequent und mit Herz und Hirn durch die komplexen Themen der Biotensegrität, der Antifragilität, der Funktion des Lumbosakralgelenks und der Gebrauchshaltung arbeitet, befindet sich mitten drin im Paradigmenwechsel. 



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Wo liegt eigentlich euer Fokus, wenn ihr mit eurem Pferd zusammen seid oder mit einem Klientenpferd? Wie sieht euer Weg mit diesem Pferd aus? 

Habt ihr ein Bild davon, wie euer Pferd oder dieses Klientenpferd als starkes, gesundes und belastbares Pferd aussehen würde? Habt ihr eine Vorstellung von den Potenzialen eures Pferdes? Wisst ihr, was es leisten könnte und wollte? 

Ein sehr großer Teil der Pferde, die ich sehe, ist dauerhaft in Behandlung oder Reha, kaum belastbar, und es haben sich ganze Ausbildungssysteme für kleinschrittige Bewegungsoptimierung entwickelt. Diese werden inzwischen leider auch auf die Ausbildung junger Pferde angewandt, die als erstes lernen müssen, so zu laufen wie das kaputte Rehapferd, das keinen Schritt neben der Spur machen darf. 

Ein kleiner Teil der Reiter und Pferde hat das Zeug für den großen Sport, wobei die meisten dieser Pferde ihr Niveau nur durch intensive Betreuung und Behandlung eine Zeit lang halten können. Das sind also nicht zwangsläufig die belastbarsten Pferde, sondern eher die besttherapierten. 

Bei den ehrgeizigen Reiter*innen kommt es darauf an, korrekte Hilfen zu geben, die vom Pferd ebenso korrekt befolgt werden müsse. Die Ausbildungsskala beginnt mit Seitengängen und der hohen Schule... Die meisten von ihnen bleiben irgendwann stecken, es geht nicht weiter, der Gaul will nicht mehr und wird krank. Womit diese Gruppe eine große Schnittmenge mit den anderen beiden Gruppen aufweist. 

Es gibt sicher noch viele weitere Gruppen, die sich dadurch auszeichnen, dass sie diese Schnittmengen mit den oben genannten haben. 

Eine sehr eigene Gruppe mit wenigen Schnittmengen ist die der gesunden und belastbaren Pferde. Anstatt nun weiter die Abstrusitäten zu betrachten, schauen wir doch einfach mal, wodurch sich diese Gruppe auszeichnet: 

Diese Pferde bewegen sich viel im Gelände, auf unterschiedlichen Untergründen und können sich in allen Gangarten bergauf und bergab bewegen. Sie stolpern selten, haben eine gute und unempfindlich Sattellage und tragen ihre Reiter*innen sicher. Sie sind in der Lage, Geländehindernisse wie Gräben und Baumstämme, Bäche und Hänge zu überwinden. Notfalls kommen sie auch auf dem Reitplatz klar... 

Diese Pferde sind ausdauernd, belastbar, meistens recht zuverlässig, unternehmungsfreudig und vor allem selten krank. Sie sind irgendwie normal. 

Es ist ein Trugschluss, dass die Pferde das können, weil sie gesund sind. Sie sind gesund, weil sie das können und weil sie ihren eigenen Aufgabenbereich haben. 

Es gibt einen gangbaren Weg dorthin.

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