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Das Lob der Normalität

Maren Diehl • 5. August 2023
Fine ist fit

oder

Warum ein solcher Hintern bei jedem Pferd, aber insbesondere bei einem ECVM-diagnostizierten Warmblut, ein gutes Zeichen ist:


Glatt, rund, zufrieden, unauffällig, unspektakulär. So sieht ein gutes Reitpferd von hinten aus. Keine Dellen, keine Hubbel, keine Kanten, keine Muskelstränge. 


Eigentlich ganz normal. Aber warum ist das nicht normal? Warum sieht man das so selten?


Vielleicht liegt das daran, dass zu viele Reitende zu hohe Ziele haben, um sich in Ruhe mit dem Normalen zu beschäftigen. Oder es liegt daran, dass sie sich zu sehr auf die Probleme konzentrieren. Die Warmblutstute, zu der dieser Hintern gehört, war vor nicht allzulanger Zeit noch das personifizierte Drama. Putzen? Drama. Satteln? Krise. Aufsitzen? Gefährlich. Am hingegebenen Zügel losreiten? Tschüss. Gelände? Himmelfahrtskommando.


Und jetzt: Putzen? Pferd steht. Satteln? Pferd steht. Aufsitzen? Pferd steht. Anreiten am hingegebenen Zügel? Geht. Gelände? Pferd läuft. Konstant und ohne Scheuen. Es kennt seinen Job. In allen drei Gangarten, in unterschiedlichen Tempi und auf wechselnden Untergründen. Das ist normal.


Diese Normalität hat sich eingestellt mit der Arbeit in Gebrauchshaltung und dem ans Gebiss ziehen. Damit hat das Pferd eine klar definierte Aufgabe gefunden, die es erfreut angeht. Dazu war beim Pferd kein "Umlernen" nötig. Das hat einfach gesagt: "Ja, so geht's."


Damit ist es übrigens nicht alleine. Das ist die normale Reaktion auf die Gelegenheit, sich physiologisch sinnvoll zu bewegen. Das ist eine normale Reaktion auf eine normale Normalität. Diese Normalität beinhaltet, dass das Pferd in seinem Körper wieder zuhause ist, dass es sich und die Umwelt wieder spüren mag. Sie beinhaltet für das Pferd Selbstwirksamkeit. 


Und die Reiterin? Sie weiß, dass alles gut ist, so lange das Pferd vorwärts ans Gebiss zieht. Sie weiß, dass sie alles reiten kann, auch einen Springparcours oder eine Dressurprüfung, so lange das Pferd horizontal vorwärts zieht. Wie das in der Versammlung geht, wird sie auf dem Weg dorthin gemeinsam mit ihrer Stute lernen. 


Währenddessen genießen beide diese neue Normalität und haben eine gute Zeit miteinander. 


Einfach schön.


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Wo liegt eigentlich euer Fokus, wenn ihr mit eurem Pferd zusammen seid oder mit einem Klientenpferd? Wie sieht euer Weg mit diesem Pferd aus? 

Habt ihr ein Bild davon, wie euer Pferd oder dieses Klientenpferd als starkes, gesundes und belastbares Pferd aussehen würde? Habt ihr eine Vorstellung von den Potenzialen eures Pferdes? Wisst ihr, was es leisten könnte und wollte? 

Ein sehr großer Teil der Pferde, die ich sehe, ist dauerhaft in Behandlung oder Reha, kaum belastbar, und es haben sich ganze Ausbildungssysteme für kleinschrittige Bewegungsoptimierung entwickelt. Diese werden inzwischen leider auch auf die Ausbildung junger Pferde angewandt, die als erstes lernen müssen, so zu laufen wie das kaputte Rehapferd, das keinen Schritt neben der Spur machen darf. 

Ein kleiner Teil der Reiter und Pferde hat das Zeug für den großen Sport, wobei die meisten dieser Pferde ihr Niveau nur durch intensive Betreuung und Behandlung eine Zeit lang halten können. Das sind also nicht zwangsläufig die belastbarsten Pferde, sondern eher die besttherapierten. 

Bei den ehrgeizigen Reiter*innen kommt es darauf an, korrekte Hilfen zu geben, die vom Pferd ebenso korrekt befolgt werden müsse. Die Ausbildungsskala beginnt mit Seitengängen und der hohen Schule... Die meisten von ihnen bleiben irgendwann stecken, es geht nicht weiter, der Gaul will nicht mehr und wird krank. Womit diese Gruppe eine große Schnittmenge mit den anderen beiden Gruppen aufweist. 

Es gibt sicher noch viele weitere Gruppen, die sich dadurch auszeichnen, dass sie diese Schnittmengen mit den oben genannten haben. 

Eine sehr eigene Gruppe mit wenigen Schnittmengen ist die der gesunden und belastbaren Pferde. Anstatt nun weiter die Abstrusitäten zu betrachten, schauen wir doch einfach mal, wodurch sich diese Gruppe auszeichnet: 

Diese Pferde bewegen sich viel im Gelände, auf unterschiedlichen Untergründen und können sich in allen Gangarten bergauf und bergab bewegen. Sie stolpern selten, haben eine gute und unempfindlich Sattellage und tragen ihre Reiter*innen sicher. Sie sind in der Lage, Geländehindernisse wie Gräben und Baumstämme, Bäche und Hänge zu überwinden. Notfalls kommen sie auch auf dem Reitplatz klar... 

Diese Pferde sind ausdauernd, belastbar, meistens recht zuverlässig, unternehmungsfreudig und vor allem selten krank. Sie sind irgendwie normal. 

Es ist ein Trugschluss, dass die Pferde das können, weil sie gesund sind. Sie sind gesund, weil sie das können und weil sie ihren eigenen Aufgabenbereich haben. 

Es gibt einen gangbaren Weg dorthin.

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