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Werkzeuge, Form und Funktion

Maren Diehl • Aug. 05, 2023
Fine ist fit

Mit der Podcast-Folge über ECVM, in der (unter anderem!) der Horse Bodyformer von Franz Grünbeck seinen Auftritt hatte, haben wir ein ganz schönes Fass aufgemacht. Zusammen mit den Blogposts über die Warmblutstute Fine (mit mittelschwerem ECVM-Befund) wollten wir, also Silke Jahn, Saskia Brieger und ich, mit dieser Podcastfolge vor allem den Betroffenen Mut machen. Wir wollten zeigen, dass es einen gangbaren Weg gibt, der nicht nur aus dem Kreislauf von Schmerz und dem Wahnsinn heraus führt, in dem sich viele ECVM-Pferde befinden, sondern sogar mit verhältnismäßig wenig Aufwand hin zu einem normalen Leben als Gebrauchspferd. Diesen Weg ist Fine gegangen, und einige andere befinden sich auf gutem Wege.


Das ist es wert, darüber zu berichten. Denn, hey, Fine ist sogar begeistert ihren ersten kleinen Parcours gesprungen!


Das ist es wert, Lebenszeit in Diskussionen zu hängen, und deshalb gehe ich an dieser Stelle nochmals auf die eher rethorische Fragestellung unter einem Facebook-Post ein, auf der die Meinung der Fragestellerin beruht. Denn: Diskussionen in den Kommentarspalten auf Facebook verlaufen oft deshalb so fruchtlos, weil das Format für ausführliche Erklärungen nicht taugt und ähnliche Fragen immer wieder gestellt werden, egal, wie oft man sie beantwortet. 


"Sorry, mir ist es wirklich nicht wert, Lebenszeit in Diskussionen zu hängen, die erfahrungsgemäß ohnehin meist fruchtlos sind. In Kürze: 

Herr Grünbeck bringt die Pferde in eine bestimmte Haltung - erstes No Go für mein Verständnis von Tensegrität. 

Er tut dies durch unangenehme Einwirkungen. Zweites No Go. 

Dem Pferd von außen vorzugeben, welche Haltung es einzunehmen hat, ist seit der Gebrauchshaltungskonferenz für mich nicht mehr tolerabel.


Er bringt die Pferde zwangsläufig zum Anheben des Rumpfes, nicht wahr?"


Fangen wir am Ende an: Nein. Tut er nicht. Das dachte ich zwar auch mal, aber ich habe meine Meinung den mir inzwischen bekannten Fakten angepasst. 


Saskia schrieb dazu: "Der Bodyformer bringt die Pferde nicht zwangsläufig dazu, den Rumpf anzuheben. Er wird ja locker verschnallt, ganz ohne Kontakt. Natürlich setzt er in der entscheidenden Bewegungsphase im Trab einen Impuls, aber dieser Impuls verändert sich mit der Bewegungsidee des Pferdes kontinuierlich und dient der Auflösung der antagonistischen Hemmung."


Das bedeutet für mich, in einfache Worte gefasst, dass die Pferde einen schmerzfreien (!) Impuls bekommen, ähnlich einem freundlichen Schubser, der daran erinnert dass es da seltsame Bereiche im Körper gibt, in die pferd hineinspüren kann. Die Haltung verändert sich nicht durch ein Ausweichen nach oben, denn die Pferde lernen als erstes, dass der Impuls weggeht, wenn sie anhalten und dass sie anhalten dürfen. Das kommt dem natürlichen Bedürfnis, Energie zu sparen, sehr entgegen. 

Und dann erst lernen sie, dass der Impuls schwächer wird, wenn sie ihre Bewegungen im Trab verändern.


Ein sehr interessanter Aspekt ist das von der Fragestellerin erwähnte "in eine Haltung bringen". Da wird es richtig spannend. Denn die Haltung des Pferdes ändert sich bei Verwendung des Bodyformers (und auch des Mobility Bridles, das bei korrekter Verschnallung und Anwendung keinen Kontakt zu den Unterkieferästen hat), nicht primär durch dessen Einwirkung, sondern durch die Bewegungsvorstellungen des Anwenders.


Die Einwirkung des Bodyformers kann allerdings - meine Vermutung - blinde Flecken des Pferdes ansprechen und blinde Flecken des Anwenders ausgleichen. 


Aber: Die Bewegungen eines kooperativen Pferdes werden, Schmerzfreiheit vorausgesetzt, bestimmt durch die Vorstellungen des Menschen.


EURE PFERDE BILDEN EURE VORSTELLUNGEN AB!


Auch das hat sich in den letzten Monaten und auch Jahren bei vielen Teilnehmenden meiner Kurse wunderbar gezeigt: Die Pferde verändern sich sofort, wenn euer inneres Bild vom Pferd sich verändert!

Das könnt ihr auch in vielen der mutmachenden Ponygeschichten hier im Blog nachlesen.


Das heißt, dass wir alle die Pferde in eine bestimmte Haltung bringen. ALLE. AUCH DU.

Vollkommen unabhängig von Tools. Mit und ohne Tools.


Das gilt für das FN-Dressurpferd ebenso wie für das Pleasure-Horse und für den Berufspatienten wie für das akademisierte Pferd. Das gilt für die vielen alternativen Reitweisen oder Nichtreit-weisen ebenso wie für die Légèreté. Ausnahmen gibt es ein paar wenige bei denen, die wirklich die Funktion im Fokus haben.


Womit wir bei der Gebrauchshaltung wären. Diese Haltung ist das Ergebnis der Arbeit mit dem Pferd und nicht ihr Inhalt. Bei Menschen, die das Konzept verstanden haben, nehmen die Pferde fast automatisch diese Haltung ein, weil diese die Funktionalität der Bewegungen abbildet. 


Sobald das Konzept vom Gebrauchspferd in Gebrauchshaltung beim Menschen verinnerlicht ist, zeigen alle Pferde diese Haltung mehr oder weniger, ihren Möglichkeiten entsprechend. Auch, wenn der Bodyformer verwendet wird. Damit ist m. E. bewiesen, dass es nicht der Bodyformer ist, der eine Haltung erzwingt, denn die Haltung der Pferde kann in der Arbeit mit diesem Tool bei unterschiedlichen Anwendern sehr unterschiedlich sein. Seine Aufgabe liegt in der Auflösung der antagonistischen Hemmung. Er führt übrigens auch nicht zu einem dauerhaften Anspannen der Bauchmuskulatur, denn das würde ein Gehen in Gebrauchshaltung unmöglich machen. Und er ist nicht für den Dauergebrauch gedacht!


Wofür dann aber überhaupt dieses grässliche Gerät?


Wir haben in den letzten Tagen viel darüber diskutiert und ich denke, dass die wenigsten Leser*innen und Hörer*innen eine Vorstellung davon haben, mit welchen Pferden Saskia überwiegend arbeitet. Das sind zum großen Teil Pferde, deren einzige Zukunftsperspektive der Gang zum Schlachter ist. Unreitbar, oft unberechenbar, instabil und ohne Kontrolle über den eigenen Körper und mit einer entsprechenden Verletzungshistorie.


Wenn solche Pferde innerhalb weniger Wochen aus ihrem Teufelskreis von Schmerz und Dysfunktionalität herausgeholt werden können, rechtfertigt das den Einsatz der beschriebenen Tools absolut, egal, ob das nun auch anders ginge oder nicht. Diese Diskussion erübrigt sich allerdings weitgehend, wenn klar ist, dass diese Tools den Pferden weder Schmerzen bereiten noch ihnen Schaden zufügen. 


(Ich glaube, dass den wenigsten Reitenden bewusst ist, dass auch die Zügel ein Tool sind. Aber liegt es an den Zügeln, wenn das Pferd über oder gegen den Zügel geht oder auch hinter dem Zügel?

Liegt es an den Zügeln, ob das Pferd vorwärts ans Gebiss zieht oder ob es dem Gebiss nachgibt? 

Gleiche Zügel, gleiches Gebiss, unterschiedliche Reiter - unterschiedliche Ergebnisse. Und, das ist besonders lustig, da gibt es noch die ganzen frei gearbeiteten Pferde, die ohne Zügel und Gebiss hinter dem Zügel gehen!) 


Ab dem Moment, in dem diese Pferde, um die es im Podcast ging, den Teufelskreis verlassen haben, ist für sie - wie für die meisten Pferde - die Idee vom Gebrauchspferd der Gamechanger, insbesondere  in Verbindung mit dem Paradigmenwechsel hin zur Biotensegrität. Ohne dieses Konzept sind so viele tiefgreifende und vor allem nachhaltige Veränderungen wie die beschriebenen nicht möglich. Denn nachhaltig bedeutet, dass die Pferde so stabil und bewegungskompetent werden, dass sie immer weniger Therapie benötigen und Reiterfehler, soweit diese sich im Rahmen des Konzeptes der Gebrauchshaltung bewegen, die Pferde nicht wieder "kaputt machen". 


Wir arbeiten also an nicht weniger als einer neuen Normalität! 



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Wo liegt eigentlich euer Fokus, wenn ihr mit eurem Pferd zusammen seid oder mit einem Klientenpferd? Wie sieht euer Weg mit diesem Pferd aus? 

Habt ihr ein Bild davon, wie euer Pferd oder dieses Klientenpferd als starkes, gesundes und belastbares Pferd aussehen würde? Habt ihr eine Vorstellung von den Potenzialen eures Pferdes? Wisst ihr, was es leisten könnte und wollte? 

Ein sehr großer Teil der Pferde, die ich sehe, ist dauerhaft in Behandlung oder Reha, kaum belastbar, und es haben sich ganze Ausbildungssysteme für kleinschrittige Bewegungsoptimierung entwickelt. Diese werden inzwischen leider auch auf die Ausbildung junger Pferde angewandt, die als erstes lernen müssen, so zu laufen wie das kaputte Rehapferd, das keinen Schritt neben der Spur machen darf. 

Ein kleiner Teil der Reiter und Pferde hat das Zeug für den großen Sport, wobei die meisten dieser Pferde ihr Niveau nur durch intensive Betreuung und Behandlung eine Zeit lang halten können. Das sind also nicht zwangsläufig die belastbarsten Pferde, sondern eher die besttherapierten. 

Bei den ehrgeizigen Reiter*innen kommt es darauf an, korrekte Hilfen zu geben, die vom Pferd ebenso korrekt befolgt werden müsse. Die Ausbildungsskala beginnt mit Seitengängen und der hohen Schule... Die meisten von ihnen bleiben irgendwann stecken, es geht nicht weiter, der Gaul will nicht mehr und wird krank. Womit diese Gruppe eine große Schnittmenge mit den anderen beiden Gruppen aufweist. 

Es gibt sicher noch viele weitere Gruppen, die sich dadurch auszeichnen, dass sie diese Schnittmengen mit den oben genannten haben. 

Eine sehr eigene Gruppe mit wenigen Schnittmengen ist die der gesunden und belastbaren Pferde. Anstatt nun weiter die Abstrusitäten zu betrachten, schauen wir doch einfach mal, wodurch sich diese Gruppe auszeichnet: 

Diese Pferde bewegen sich viel im Gelände, auf unterschiedlichen Untergründen und können sich in allen Gangarten bergauf und bergab bewegen. Sie stolpern selten, haben eine gute und unempfindlich Sattellage und tragen ihre Reiter*innen sicher. Sie sind in der Lage, Geländehindernisse wie Gräben und Baumstämme, Bäche und Hänge zu überwinden. Notfalls kommen sie auch auf dem Reitplatz klar... 

Diese Pferde sind ausdauernd, belastbar, meistens recht zuverlässig, unternehmungsfreudig und vor allem selten krank. Sie sind irgendwie normal. 

Es ist ein Trugschluss, dass die Pferde das können, weil sie gesund sind. Sie sind gesund, weil sie das können und weil sie ihren eigenen Aufgabenbereich haben. 

Es gibt einen gangbaren Weg dorthin.

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