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Mutmachende Ponygeschichten - Fine wird fit!

Maren Diehl • Juli 01, 2023
Ein glücklicher Isländer

ECVM


Als ich vor vielen Jahren, 2013 oder 2014, erstmals von den Veränderungen der tiefen Halswirbel las, die Sharon May Davis' Sektionen zutage befördert hatten, war ich mir der Relevanz des Themas nicht bewusst. In meinen Augen betrafen diese Missbildungen einen Teil der Anatomie, der für die Fähigkeit des Pferdes, einen Reiter zu tragen, von untergeordneter Bedeutung war. Dass es auch zu Stufenbildung zwischen den Wirbeln kommen kann, war zumindest mir damals nicht klar, und da sich die ersten Studien meines Wissens auf Vollblüter bezogen, schien das alles ein Problem anderer Leute zu sein. 


Inzwischen hat das Ganze einen Namen - Equine Complex Vertebral Malformation - und beschreibt angeborene vererbliche Missbildungen der letzten beiden Halswirbel und der ersten Rippen. Damit gehen auch Funktionseinschränkungen einher, da Faszienstrukturen sich andere Anheftungspunkte suchen müssen als an normalen Halswirbeln.


Dass im Bereich der letzten Halswirbel und dem Übergang zur Brustwirbelsäule eines der potenziellen Krisengebiete der Pferdeanatomie liegt, hatte ich in "Die Pferde sind nicht das Problem - Keine Reitlehre" bereits erwähnt. Allerdings hatte ich die entsprechenden Symptome damals eher der reiterlichen Einwirkung zugeschrieben.


Durch die Begegnung mit Saskia Brieger, die bei mir sehr engagiert am Kurs "Biotensegrity Pioneers" teilnahm und aktuell im Kurs "Biotensegrity Visionaires" an nachhaltigen Lösungen der ECVM-Problematik arbeitet, ist das Thema nun auch für mich in den Fokus gerückt. 


Da es viele mittelschwere und schwere Befunde gerade auch bei den Warmblütern gibt und ein solcher Befund oft mit der Einstufung "nicht reitbar" einhergeht, ist es nun Zeit für eine mutmachende Ponygeschichte mit der 9-jährigen Warmblutstute Fine in der Hauptrolle, geschrieben von Saskia Brieger:


Liebe Maren,

jetzt sitze ich schon eine Weile an meinem Text, es ist ein wunderschöner Abend, wahnsinnig mild, der Lavendel duftet und irgendwo quaken Frösche. Ich bin immernoch nicht ganz zufrieden mit dem was ich hier schreibe und habe die Hälfte schon wieder gelöscht. Ich schweife immer wieder ab und gerade frage ich mich, wie ich es immer so zuverlässig schaffe, mich zwischen die Stühle zu setzen. Dafür habe ich wirklich Talent…. :-D


Deswegen läuft es mir wahrscheinlich gerade nicht ganz so flüssig von der Hand, wie ich es eigentlich von mir kenne, wenn es darum geht etwas zu schreiben. Denn an dieser Stelle möchte ich möglichst allen gerecht werden! Aber so, wie ich in den meisten Dingen, die passieren, eine Chance sehe, möchte ich auch darin eine Chance sehen. 


Vielleicht eine Chance für den Pferdesport, für die Menschen die den Pferdesport nicht mögen, für die, die ihn immernoch lieben (wie Fines Besitzerin) und für Menschen wie mich, die den Wettkampf zu Pferde eigentlich mal geliebt haben, ihn aber in der heute entarteten Form absolut nicht mehr ertragen. Für Menschen wie Dich, die so unfassbar abgeklärt in der Lage sind, Dinge wirklich neutral zu betrachten. Und natürlich vor allem für Pferde wie Fine, die den Kampfgeist und Ehrgeiz für den Sport im Blut tragen, aber an der Art der Ausführung meistens zerbrechen. Mittlerweile fast immer, wenn man ehrlich ist. Ich begebe mich also zwischen die Fronten, auch wenn das höchst unbequem ist.


                                                    (1)   Der Befund


Fine (9) und ihre Besitzerin lernte ich im Mai 2022 kennen. Ich sollte ihnen helfen, aus Fine wieder ein belastbares Reit-und Dressurpferd zu machen, denn Fine war in den Teufelskreis pathogener Bewegungsmuster geraten. Sie war trageerschöpft, taktunrein, hatte einen Sehnenschaden hinter sich und keine Idee, wie sie ihr gewaltiges Gangwerk effizient für sich arbeiten lassen könnte, weder im Viereck, noch sonstwo. Sie flüchtete oft über Tempo, war sehr umweltorientiert, explosiv, äußerst berührungsempfindlich und oft einfach schlecht gelaunt.


Wir starteten also im Mai 2022 mit der Faszienarbeit nach Grünbeck (ich bin zertifizierte Horse-Bodyforming-Instruktorin und mache aktuell eine Fortbildung zur Horse-Bodyforming-Reitlehrerin), und wir hatten schon bald erste Erfolge in Richtung Schmerzfreiheit. Fine fand sehr schnell heraus, dass sie oberflächliche Verspannungen damit gut loswerden konnte und zeigte mir zuverlässig, wo genau sie gerade den Bedarf am größten sah. Sie stellte sich immer so auf, dass ich die richtige Stelle gar nicht verfehlen konnte und verarbeitete danach so derart gründlich, dass wir sie „Frau Mahlzahn“ tauften, denn sie verfiel nach den Behandlungen tatsächlich in fast hundertjährigen Schlaf.


In der Bewegung war sie sehr unbalanciert, und wir entschieden nach einer Weile, sie auch mit dem Bodyformer zu arbeiten, um ihr rasch wieder zu einem besseren Bewegungsmuster zu verhelfen. Der Plan ging auf und schon bald war Fine wieder reitbar. Darüber freute sie sich sehr, denn immer nur vom Boden gearbeitet zu werden, war einfach nicht ihr Ding. Um unter dem Sattel nicht wieder in alte Muster zu verfallen, nahmen wir das Bodyforming Reitprogramm noch dazu und Fine wollte oft nach der Arbeit den Reitplatz nicht verlassen, was wir als gutes Zeichen deuteten. Fine wollte sich wieder bewegen, wollte arbeiten, wollte Aufgaben lösen, wollte gefallen und wollte bewundert (und nicht bemitleidet) werden.


Zu diesem Zeitpunkt bewunderte ich Fine schon sehr!


Aber nach wie vor hatte Fine immer mal wieder schlechte Tage, wurde wieder berührungsempfindlich und es gab auch Tage, an denen sie sich sehr schwer tat sich nach rechts zu stellen. Da ich mittlerweile relativ häufig auf das Thema ECVM und MIM stoße, empfahl ich der Besitzerin Fine röntgen zu lassen und unser Verdacht bestätigte sich: Fine hat einen mittelschweren ECVM-Befund und ist MIM Zweifachträgerin. Das war erstmal für alle Beteiligten ein ziemlicher Schock….


Soviel zu Teil 1.


Liebe Grüße und gute Nacht,

Saskia


Und nun müsst ihr euch nach diesem Cliffhanger gedulden bis zur zweiten Hälfte des nächsten Teils. 

Ich verrate euch aber schon so viel, dass ihr Lust haben werdet, weiterzulesen: Fine wird wieder Reitpferd (und zwar, wie der Name schon sagt, ein feines) und nicht Patientin! Vielleicht ist es noch etwas früh für diese Aussage, aber sie wird nicht ins 70-30 Schema mit 70% Therapie und vielleicht 30% Reiten rutschen.


Zum Thema ECVM könnt ihr übrigens auch unsere Podcastfolge 13 anhören, sobald diese on air ist. Den Podcast mit den bisherigen Folgen findet ihr hier: 

https://www.die-pferde-sind-nicht-das-problem.de/podcast2898bd45


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Wo liegt eigentlich euer Fokus, wenn ihr mit eurem Pferd zusammen seid oder mit einem Klientenpferd? Wie sieht euer Weg mit diesem Pferd aus? 

Habt ihr ein Bild davon, wie euer Pferd oder dieses Klientenpferd als starkes, gesundes und belastbares Pferd aussehen würde? Habt ihr eine Vorstellung von den Potenzialen eures Pferdes? Wisst ihr, was es leisten könnte und wollte? 

Ein sehr großer Teil der Pferde, die ich sehe, ist dauerhaft in Behandlung oder Reha, kaum belastbar, und es haben sich ganze Ausbildungssysteme für kleinschrittige Bewegungsoptimierung entwickelt. Diese werden inzwischen leider auch auf die Ausbildung junger Pferde angewandt, die als erstes lernen müssen, so zu laufen wie das kaputte Rehapferd, das keinen Schritt neben der Spur machen darf. 

Ein kleiner Teil der Reiter und Pferde hat das Zeug für den großen Sport, wobei die meisten dieser Pferde ihr Niveau nur durch intensive Betreuung und Behandlung eine Zeit lang halten können. Das sind also nicht zwangsläufig die belastbarsten Pferde, sondern eher die besttherapierten. 

Bei den ehrgeizigen Reiter*innen kommt es darauf an, korrekte Hilfen zu geben, die vom Pferd ebenso korrekt befolgt werden müsse. Die Ausbildungsskala beginnt mit Seitengängen und der hohen Schule... Die meisten von ihnen bleiben irgendwann stecken, es geht nicht weiter, der Gaul will nicht mehr und wird krank. Womit diese Gruppe eine große Schnittmenge mit den anderen beiden Gruppen aufweist. 

Es gibt sicher noch viele weitere Gruppen, die sich dadurch auszeichnen, dass sie diese Schnittmengen mit den oben genannten haben. 

Eine sehr eigene Gruppe mit wenigen Schnittmengen ist die der gesunden und belastbaren Pferde. Anstatt nun weiter die Abstrusitäten zu betrachten, schauen wir doch einfach mal, wodurch sich diese Gruppe auszeichnet: 

Diese Pferde bewegen sich viel im Gelände, auf unterschiedlichen Untergründen und können sich in allen Gangarten bergauf und bergab bewegen. Sie stolpern selten, haben eine gute und unempfindlich Sattellage und tragen ihre Reiter*innen sicher. Sie sind in der Lage, Geländehindernisse wie Gräben und Baumstämme, Bäche und Hänge zu überwinden. Notfalls kommen sie auch auf dem Reitplatz klar... 

Diese Pferde sind ausdauernd, belastbar, meistens recht zuverlässig, unternehmungsfreudig und vor allem selten krank. Sie sind irgendwie normal. 

Es ist ein Trugschluss, dass die Pferde das können, weil sie gesund sind. Sie sind gesund, weil sie das können und weil sie ihren eigenen Aufgabenbereich haben. 

Es gibt einen gangbaren Weg dorthin.

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